27 April 2023

Top Ten Thursday: Welche 10 Bücher setzen auf deiner Wunschliste schon Staub an?

 

Hallo meine Mitgefangenen in der Welt der Buchstaben!

Neue Woche, neues Glück oder so ähnlich. Es ist wieder ein Donnerstag und damit Zeit für eine Top-Ten-Liste. Das Thema der Woche:

10 Bücher, die auf deiner Wunschliste schon Staub ansetzen.

Nur zehn? Meine Amazon-Wunschliste ist umfangreich. Ich meine, wirklich umfangreich. Voll mit Filmen, Games, Romanen, Manga, Comics, Fachbüchern, Ratgebern - und Zeug. Immerhin geht es bei der Challenge nur um den mittleren Kram. Damit ich mich nicht in 10 x 10 Titeln verliere (vielleicht sollte ich zehn Posts machen?) habe ich wirklich nur die vergessenen Urgesteine rausgesucht - auf der Wunschliste seit mindestens fünf Jahren. Außerdem habe ich versucht, die Auswahl so breit wie möglich zu fächern.

Dies ist das Ergebnis:

 

Ich denke, die Aufstellung ist breit genug. Romane, ein Visual Novel, ein Schreibratgeber und drei Bücher, die irgendwo zwischen Sach- und Fachbuch liegen. Und ja, eins davon ist ein Hörbuch, was aber nichts heißt. Doch, schon. Nämlich, dass das Hörbuchcover das einzige war, das Amazon mich hat klauen lassen.

Auf zur Liste:

Pierre Grimal und Eckart Petrich: Götter und Helden: Die Mythologie der Griechen, Römer und Germanen.

Das Buch befindet sich seit März 2015 auf der Liste. Ein Nachschalgewerk über Mythologie, wie man unschwer erkennen kann. Ich habe eine Reihe solcher Nachschlagewerke und vermutlich noch mehr Sammlungen von mythologischen Geschichten quer über den Globus. Zum einen, weil ich mich dafür interessiere - privat und beruflich. In diesem Fall habe ich das Buch allerdings speziell gesucht, weil es Parallelen zwischen den verschiedenen Göttern der drei Völker zieht. Ich wollte es als Recherche zu einer Fanfiction Idee zu Saint Seiya/ Knights of the Zodiac nutzen. Die Idee existiert noch, ungeschrieben, und das Buch gammelt auf der Wunschliste ...

Carl Faulmann: Schriftzeichen und Alphabete: Aller Zeiten und Völker
Genauso lange (auf den Tag genau) auf meiner Liste wie sein Vorgänger. Das Buch ist eher aus Interesse an verschiedenen Alphabeten da. Habe ich erwähnt, dass ich Russisch, Japanisch und Mandarin lerne/ gelernt habe? Nicht, weil mich die Sprache interessiert, sondern, um die Schriftzeichen lesen zu können. Spoiler: Eigentlich hat das nur mit dem kyrillischen Alphabet bisher funktioniert. Fremde Schriftsysteme faszinieren mich seit der Schulzeit und meinem ersten Kontakt mit grieschichen Buchstaben. Aber sie faszinieren mich offensichtlich nicht so sehr, dass ich dieses Buch unbedingt haben muss.

Nelly Naumann: Die Mythen des alten Japan
Noch ein Buch, das am selben Tag auf der Wunschliste gelandet ist. 2015 hatte ich offenbar viele Wünsche, die schnell in Vergessenheit geraten sind. Ich kann nicht viel sagen, was ich nicht beim ersten Buch schon erzählt habe. Außer unglaublich alten, obskuren Büchern sammele ich Märchen und Sagen. Und obwohl ich Japanisch lerne, habe ich noch kein Werk über japanische Mythologie.

Bethesda Softworks: The Elder Scrolls V: Skyrim - The Skyrim Library, Vol. I: The Histories
Es gibt vier fantastische Welten, die mich besonders reizen. Pokémon, wo Luftballons und traumfressende Tapire kleine Kinder entführen. Digimon, das für mich Hogwarts ersetzte. Sch* auf die dumme Eule, ich will endlich mein Digivice. Hyrule (siehe nächster Punkt) und die Welt von Elder Scrolls. Ich bin Elder Scrolls Lore Junkie und habe auch schon einige der speziellen Ausgaben, die Bethesda zu ESO herausgebracht hat. Das Skyrim-Kompendium fehlt mir allerdings noch in der Sammlung. Und zwar seit 2015. Ich sehe hier wirklich ein Muster.

Akira Himekawa, Eiji Anuma und Shigeru Miyamoto: The Legend of Zelda - Hyrule Historia
Erschienen 2013 und genausolange auf der Liste. Zelda - also die richtigen Zelda-Teile, nicht Breath of the Wild, haben einen speziellen Platz in meinem Leben. Hyrule war die erste Welt, die ich wirklich faszinierend fand und für deren Lore ich mich interessiert habe. Damals, als ich Link's Awekening zum ersten Mal gespielt habe. Warum habe ich das Buch immer noch nicht gekauft? Gute Frage. Weiter.

Heinz-Peter Röhr: Narzißmus: Das innere Gefängnis
Warum steht das auf der Liste? Seit 2015? Recherche, glaube ich. Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht ist es nur noch da, weil ich es nie gelöscht habe. Wahrscheinlich sollte ich es tun, wenn ich nicht mehr weiß, warum es mich in erster Linie interessiert hat.

Hans Peter Roentgen: Schreiben ist nichts für Feiglinge: Buchmarkt für Anfänger
2015, wann auch sonst? Ein Ratgeber, nicht über das Schreiben an sich, sondern über das Marketing. Steht auf der Liste, seit ich angefangen habe, das Handwerk ernster zu nehmen. Bleibt vermutlich auf der Liste stehen für den Rest der Zeit, weil Tipps aus 2015 mittlerweile ziemlich überholt sind. Oder so bewährt, dass ich sie auch in aktuelleren Ratgebern finden kann.

Mary W. Shelley: Frankenstein oder Der moderne Prometheus
Zusammen mit "Das Bildnis des Dorian Gray" zählt Frankenstein zu den Klassikern, die ich noch nicht gelesen habe, aber unbedingt noch nachholen will. Wie lange? Ratet mal.

Olivia Vieweg (Herausgeber), Bodenski: Subway to Sally-Storybook 2
Ich habe den ersten Band. Ich mag die Band. Also hätte ich gerne den zweiten Band. Warum habe ich ihn nicht? Es ist alles eine Frage des Preises. Und der ist seit 2013 kontinuierlich gestiegen.

Arturo Pérez-Reverte: Der Club Dumas
Die Romanvorlage zu "Die Neun Pforten", einem meiner Lieblingsfilme. Ich glaube, das Buch gammelt seit 2013 auf der Liste, weil ich Angst habe, es zu lesen. Angst, dass es mir nachträglich den Film ruiniert, wie es bei "Das letzte Einhorn" und "Wolkenatlas" passiert ist. Es ist seltsam, Angst davor zu haben, dass ein Buch gut ist. Aber egal. Irgendwann. Irgendwann ...

Kennt ihr eines der Bücher? Habt ihr es gelesen? Welche würdet ihr lesen wollen? Habt ihr Monster gesehen/ gelesen und wollt darüber diskutieren? Ich bin ganz Ohr! Antworten wie immer in den Kommentaren!


25 April 2023

Die Tierwanderung (Flash Fiction)

 Endlich wieder in Afrika. Die Umstände waren zwar anders, als ich es mir erhofft hatte, aber das war gleich. Seit ich den Süden dieses riesigen Kontinents das erste Mal betreten hatte, ging mir Afrika einfach nicht mehr aus dem Kopf. African homesickness nennt sich das Phänomen. Schon erstaunlich, es muss viele Leute betreffen, wenn es sogar einen Namen hat. Hier war ich also wieder, irgendwo in der Nähe von Johannesburg, zusammen mit einer guten Freundin und meinem Mischlingshund.
Es war meine Freundin, deretwegen ich hier war. Sie hatte vor einigen Jahren ihre Schauspielkarriere begonnen und vor Kurzem in einer südafrikanischen Fernsehserie eine Dauerrolle ergattert. Wie auch immer sie das geschafft hatte. Nun stand ihr jedenfalls eine Preisverleihung bevor. Wir machten uns zu Fuß von ihrem Haus aus auf zu dem Hotel, in dem die Festlichkeiten stattfinden sollten. Es war ein längerer Fußmarsch von fast zwei Stunden, aber wir hatten ja den Hund dabei. Am Ziel erwartete uns ein klimatisierter Raum und Cocktails. Die Feierlichkeiten waren ätzend langweilig. Eine große Schar paradisvogelhafter Gäste, Klappstühle aus Plastik und eckehafter, sirupartiger Kokosnusscocktail. Noch nicht einmal ein anständiger Tequila Sunrise. Oder wenigstens eine Cola. Das Einzige, was noch langweiliger war, war die eigentliche Zeremonie. Selbst meine Freundin kannte kaum eine der Gestalten, die dort einen Preis entgegennahmen. Und sie bekam natürlich auch keinen. Ich war froh, als wir gehen konnten. Unser Rückweg führte uns von dem recht hübschen Hotelgelände in einen Wald. Südafrika sah stellenweise auch nicht anders aus als Deutschland. Wir spazierten mit dem Hund auf dem Waldweg und schwiegen uns an.

Image by Monika from Pixabay

Urplötzlich brach ein großer Kudu aus dem Gebüsch oder vielleicht auch ein Nyala. Auf alle Fälle eine große Antilope. Sie kreuzte unseren Weg und verschwand auf der anderen Seite im Wald. Der Hund hetzt kläffend hinter ihr her. Bevor ich reagieren und den Hund zurückrufen konnte, folgten der Antilope drei Männer. Sie alle waren Weiße und trugen nur eine spärliche Lederkleidung. Einen Lendenschurz, primitive Stiefel und eine Art Schärpe aus Leder. Ihre Gesichter waren bemalt und sie waren mit kleinen Bögen und Pfeilen bewaffnet. Wir waren so verdutzt, dass ich den Hund ganz vergessen hatte. Als wir gerade dazu ansetzte, weiter zu gehen, tauchte eine weitere Antilope auf. Das Tier hatte große Hörner und war offenbar sehr wütend. Es blieb direkt auf dem Weg stehen, schnaubte und senkte den Kopf. Wir sprangen erschrocken ins Gebüsch und registrierten erst danach, dass die Drohgebärde nicht uns galt, sondern einem weiteren Antilopenbock hinter uns. Dennoch fand ich es sicherer, den Wald schnellstmöglich zu verlassen.


Wir erreichten eine weite Ebene voll gelbem Gras, durch die sich ein Trampelpfad schlängelte. Ich hatte das ungute Gefühl, dass wir uns nach dem Erlebnis mit den Antilopen verlaufen hatten. In der Ferne konnte ich ein Haus oder etwas in der Art sehen.


„Vielleicht finden wir dort jemanden, der den Weg kennt ...“, murmelte ich und ging voran. Auf der südlichen Seite des Weges, zu unserer Linken, befanden sich eine Menge an Tieren. Verschiedene Antilopen, Gazellen, Schafe und Rinder, aber auch Löwen und Wildhunde. Von dem friedlichen Bild abgesehen war diese Menge an Tieren auch in Afrika eher ungewöhnlich. Ich blieb stehen und kramte nach meinem Fotoapparat. Als ich ihn aus der Tasche zog, setzten sich alle Tiere gleichzeitig in Bewegung und zogen in einer riesigen, aber offensichtlich sehr geordneten, Masse nach Norden. Verwirrt sah ich ihnen hinterher, dann ging ich weiter. Meine Freundin folgte. Wir erreichten gemeinsam das Bauwerk, das sich als alte Arbeiterhütte aus Stein erwies. Ich hatte ähnliche Gebäude schon in Namibia in den Claims in der Wüste gesehen und in Kleinstädten und Vororten in Südafrika. Allerdings noch nie ein einzelnes Gebäude mitten in der Wildnis. So oder so, es war unbewohnt und bot auch keinen Schutz. Wir mussten also weitergehen. Erst jetzt bemerkte ich, dass es noch immer Nachmittag war. Die Sonne schien sich nicht zu bewegen.


Während wir weitergingen, sahen wir mehrfach Ströme verschiedenster Tiere in Richtung Norden ziehen. Immer wirkten sie geordnet und friedlich. Manchmal fanden sich dazwischen auch Menschen. Alle von ihnen wirkten Blond, obwohl sie sicherlich unterschiedliche Haarfarben hatten. Sie alle trugen sehr einfache Kleidung, manchmal aus Leder, häufiger noch aus Bananenblättern. Und im Gegensatz zu den drei Jägern im Wald waren sie alle barfuß. Da ich mittlerweile meinen Fotoapparat aus der Tasche geholt hatte, hielt ich einige der Szenen fest. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Die Sonne stand still am Himmel und die Tiere strömten alle zu einem Punkt. Das alles erinnerte mich an etwas.


Endlich erreichten wir ein Hotel. Wir baten das personal, uns in die Stadt zu fahren, allerdings erzählten wir nichts von unseren Beobachtungen. In Johannesburg trennten sich die Wege meiner Freundin und meine. Ich suchte eilig einen Copy Shop auf, um mein Foto ausdrucken und gleich laminieren zu lassen. Ich hatte das Gefühl, dass das Foto eine Menge Wasser aushalten musste, bis man es sich wieder ansah. Meine Freundin hatte mir mitgeteilt, sie wolle nach Deutschland zurückfliegen. Ich hielt das für eine gute Idee, zumal sie offenbar meine Nervosität angesichts der Tierwanderung nicht teilte.
Ich kehrte in die Wildnis zurück, um der Sache auf den Grund zu gehen. Und, um die Arche zu finden, zu der die Tiere strömen.


20 April 2023

Top Ten Thursday: 10 Bücher, die ich wieder lesen würde


 Hallo meine lieben Mitgefangenen in der Welt der Buchstaben!

Heute ist er da, mein erster Beitrag zum Top Ten Thursday von Weltenwanderer.

Worum geht es?

Jede Woche gibt es eine neue Aufgabe, zehn Bücher herauszusuchen und zu präsentieren. Der Haken: Alle zehn Bücher müssen eine gewisse Gemeinsamkeit aufweisen. Da ich mich sehr roboterhaft daran halten werde, nur Bücher aus meinem persönlichen Bestand vorzustellen - es sei denn, die Challenge verlangt explizit etwas anderes - werden meine Posts wohl nicht wöchentlich erscheinen, sondern abhängig vom Thema.

Das heißt: Folgt mir hier, auf Facebook oder Instagram, um auf dem Laufenden zu bleiben!

Und damit zur heutigen Aufgabe

Bei welchen 10 Büchern, die du schon gelesen hast, würdest du über einen re-read nachdenken?


 Die Aufgabe ist recht einfach, da ich generell dazu tendiere, Bücher mehrmals zu lesen. Und ein bisschen gecheated habe ich auch, "Das letzte Einhorn" ist nämlich zwei Mal auf der Liste. Und irgendwie dominieren gerade zwei Autoren, wenn ich das richtig sehe.

Aber egal, zur Liste:

Peter S. Beagle: Es kamen drei Damen im Abendrot(1993)

In meinen Augen das unterbewerteste Fantasy-Buch überhaupt. Die Geschichte handelt von einem jungen Mann, der am Abend seiner Verlobung seine Zukünftige durch einen Unfall verliert. Er beobachtet, wie ihre Leiche von einer reisenden Zauberin wieder zum Leben erweckt wird und folgt daraufhin den beiden Frauen auf deren Reise. Er holt sie in einem Gasthaus ein, das die Zauberin zu ihrer Basis auf der Suche nach ihrem Meister gewählt hat. Dort treffen sie auf eine Abenteurerin mit einem Fuchs, die dasselbe Ziel wie die Zauberin verfolgen.

Die Geschichte ist Beagle-typisch märchenhaft erzählt mit wunderbaren Bildern, großartigen Charakteren und der vermutlich besten Sexszene der Welt (hättet ihr nicht erwartet, nicht wahr?). Auch stilistisch fällt das Buch auf. Die Kapitel sind wechselweise aus der Sicht des Jungen, der Zauberin, des Fuchses, der Abenteurerin, des Wirtes oder des Stallburschen erzählt. Dabei wiederholen sich die Ereignisse, aber man erhält jeweils unterschiedliche Sichtweisen. Ich mag diese Erzählform sehr gerne, wie ihr noch sehen werdet.


Bram Stoker: Dracula (1897)

Ich hoffe ja, dass ich zu einem Klassiker nicht allzuviel sagen muss. Ich tue es trotzdem. Dracula handelt von dem jungen Anwalt Jonathan Harker, der für den rumänischen Grafen Dracula ein Haus in London erwerben soll. Doch als Jonathan sich mit seinem Klienten in Transylvanien trifft, gerät er in die Gefangenschaft durch den eigentümlichen Adligen. Es gelingt ihm, zu fliehen, und Dracula zurück nach London zu folgen, wo dieser ein Auge auf Jonathans Verlobte Mina geworfen hat. Überfordert, aber entschlossen, stellt sich Jonathan an der Seite seiner Freunde dem Grafen.

Ich kann zu Dracula nicht viel sagen, außer, dass es das beste Buch ist, das ich je gelesen habe, und dass es mich in eine tiefe Sinnkrise gestürzt hat. Neben Beagle und Mitchell ist Stoker eines meiner großen, aber vermutlich unerreichbaren Vorbilder. Das Buch ist ebenfalls aus wechselnden Perspektiven geschrieben, wobei alle Erzählungen entweder in Tagebuch- oder Briefform vorliegen.


Peter S. Beagle: Das letzte Einhorn (1968)

Ungelogen das Buch, das ich als Erwachsener am häufigsten wiedergelesen habe. Wer bislang nur den Film kennt, sollte sich das Buch schleunigst zulegen. Beagle ist ein großartiger Poet, der eine faszinierende Reise in bunteren Farben malt, als der Film (zu dem er selbst das Drehbuch geschrieben hat) es kann. Allerdings möchte ich dazu sagen, dass der Film näher an Beagles favorisierter Version der Geschichte ist - er wollte ein Märchen erzählen, das letzte Einhorn geht als Buch jedoch weit darüber hinaus. Es erzählt die Geschichte des letzten noch lebenden Einhorns auf der Welt. Zweifelnd, ob es wirklich alleine ist, macht es sich auf die Suche nach seinen Kameraden. Auf dem Weg trifft es die freundliche Banditin Molly und den unbegabten Zauberer Schmendrick, die ihm zur Seite stehen, und erlernt Gefühle, die ein Einhorn nicht haben sollte.

Die Geschichte behandelt im Kern die Themen Menschlichkeit und Unsterblichkeit, die beide Fluch und Segen zugleich sind. Das letzte Einhorn ist "Der Zauberer von Oz", nur magischer und tragischer.


David Mitchell: Chaos (1999)

Chaos ist ein karmischer Drogentrip auf einer Highspeed-Achterbahn. Immer wieder. Als ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe, hat es mich einen Nachmittag gekostet. Einen Nachmittag, an dem ich nur nebenher lesen konnte. Die einzigen Bücher, mit denen ich es vergleichen kann, sind die anderen Werke desselben Autors und eine Zusammenfassung zu geben, würde das Buch vorwegnehmen. Chaos (im Original mit dem treffenderen Titel "Ghostwritten") ist eine Geschichte in neun Teilen, die sich von Japan über Eurasien bis in die USA zieht und auf mehreren Zeitebenen spielt. Die Geschichten sind durch jeweils einen Charakter miteinander verbunden, ernst, fantastisch und wirr. Das große Ganze, der Zusammenhang, ergibt sich erst im Rückblick - dann aber mit einem gigantischen Paukenschlag.


Peter S. Beagle: Das indische Nashorn (1997)

Eine Sammlung von drei fantastischen Erzählungen. Eine Geschichte über ein sprechendes Panzernashorn, dass aus dem Zoo flieht und bei einem Mädchen lebt. Eine Geschichte über einen verliebten Werwolf. Und "Komm, Lady Tod", eine Geschichte über Hochmut, Langeweile, Gier und Unsterblichkeit, die hier eindeutig ein Fluch ist.

"Komm, Lady Tod" ist eine meiner liebsten Erzählungen überhaupt. Ich zögere ein bisschen, sie Märchen zu nennen, denn die Handlung ist komplexer als es bei Märchen (auch Kunstmärchen) üblich ist. Aber das Wort beschreibt sehr treffend Beagles Erzählweise. Wie an die meisten Bücher des Autors ist auch an "Das indische Nashorn" schwer heranzukommen, aber die Suche lohnt sich.


Christopher Zimmer: Die Augen der Maru (1998)

Es ist ewig her, dass ich das Buch gelesen habe. Was mir in Erinnerung geblieben ist, sind die Welt und die Maru, konische, übermenschliche Wesen. An die Handlung erinnere ich mich dagegen kaum noch. Das ist auch der Grund, weshalb ich das Buch unbedingt noch einmal lesen will. Es ist mir aus meiner Teenagerzeit über all die Jahre positiv im Gedächtnis geblieben - also sollte es wohl auch gut sein.


Peter S. Beagle: Zwei Herzen (2006)

Der Joker auf der Liste. Warum? In Deutschland erhält man die Erzählung "Zwei Herzen" nur in Kombination mit "Das letzte Einhorn". Ergibt Sinn, denn es handelt sich um die Fortsetzung der Geschichte. Prinz Lír ist mittlerweile ein alter König - dessen Alter nicht in Würde und Gesundheit stattgefunden hat. Er wünscht sich, vor seinem Tod noch einmal das Einhorn zu sehen. Schmendrick und Molly machen sich auf den Weg, das Einhorn zu suchen, um ihm den Wunsch zu erfüllen. Die Geschichte ist tragisch und tieftraurig. Aber wunderschön.


David Mitchell: number9dream (2001)

In "number9dream" kehrt ein Charakter aus Chaos zurück und drängt sich ganz in den Vordergrund. Der junge Plattenhändler aus Tokio begibt sich auf die Suche nach seinem Vater und gerät dabei ins Visir einer Yakuza-Bande. Die Geschichte wechselt zwischen den - teils unglaublichen - Abenteuern des Protagonisten und einer unfertigen Fantasystory ab, in der eine Ziege und eine Henne die ultimative Geschichte suchen. Da Mitchell ein Faible dafür hat, seine Charaktere in anderen Büchern auftreten zu lassen, lohnt es sich immer, alle seine Werke zu lesen. "number9dream" gefällt mir allein deswegen, weil neben dem Plattenhändler auch Suchbataar wieder auftaucht. Diesmal nicht als KGB-Agent, sondern als Schläger einer rivalisierenden Gang.


David Mitchell: Der Wolkenatlas (2004)

Das Buch, mit dem meine Liebe zu diesem Autor angefangen hat. Die Basis für einen sehr experimentellen Film, der leider die wichtigsten Teile und Botschaften des Buches unterwandert. "Wolkenatlas" ist Chaos in seinem Aufbau sehr ähnlich, doch diesmal steht die Reise über die Zeit im Fokus. Vom amerikanischen Bürgerkrieg über das industrielle und moderne Europa nach Korea in der nahen Zukunft und einer Welt nach der Apokalypse und wieder zurück. Die Geschichten sind hier nicht über die Figuren, sondern über die Geschichten verknüpft und das Buch hat einen einzigartigen Aufbau - den der Film nur in Teilen wiedergibt. Besonders der Teil in der nahen Zukunft - eine schockierend realistische Version kommender Regierungs- und Lebensformen - geht in der Verfilmung völlig verloren, ist aber der stärkste Teil des Buches.

 

Naoki Urasawa/ Osamu Tezuka: Pluto (2003-2009)

Der erste Band steht stellvertretend für die ganze Serie. Angelehnt an eine Geschichte aus Tezukas "Astro Boy" erzähl Urasawa die Geschichte des Polizeiinspektors Gesicht auf der Jagd nach dem größten Roboter aller Zeiten. Davon abgesehen, dass Urasawa ein genialer Erzähler ist, über den viel zu wenig geredet wird (es glauben noch immer viel zu viele Menschen, dass Comics und speziell Manga keine hochwertigen Medien sein können), möchte ich Pluto noch einmal lesen, bevor dieses Jahr der Anime erscheint. Ich will mich auf Meckern vorbereiten 😂


So, das war sie, die Liste meiner geplanten Re-Reads. Ich hätte noch ein paar Bücher mehr, aber ich musste mich ja auf zehn beschränken. Außerdem finde ich "Der Kuss der Spinnenfrau" in meinem überfüllten Regal gerade nicht wieder.

Kennt ihr einige der Bücher? Habt ihr sie selbst gelesen? Wie fandet ihr sie?

Teilt eure Meinung gerne in den Kommentaren!

18 April 2023

Zeitbeben

 Ich saß angespannt in dem kleinen Flugzeug. Die Passagiere neben mir versperrten den Blick aus dem Fenster, obwohl die Scheiben der kleinen Privatmaschine sehr groß waren. Ich hatte Bedenken, dass ich Stonehenge bei unserem Überflug nicht sehen würde. Wir waren am Morgen mit fünf Mann von einem der Londoner Flughäfen aufgebrochen und ich hatte das Glück gehabt, den Platz in der Mitte der Maschine zu erhaschen. Seufzend klopfte ich meinem Nachbarn auf die Schulter und hob meine Kamera:
„Entschuldigung?“

Image by Joe from Pixabay

Der junge Mann rückte lächelnd zur Seite. Ich beugte mich über ihn. Der Pilot flog zufällig eine Kurve und schien einen Platz für die Landung zu suchen. Ich presste das Teleobjektiv gegen die Scheibe des Flugzeuges, ohne auf die blonde Frau am Fenster zu achten, und machte hastig einige Bilder des Steinkreises. Im selben Moment fragte ich mich, warum ich mich eigentlich wie ein dummer Tourist benahm. Ich rückte auf meinen Platz zurück, kurz bevor der Pilot uns anwies, genau das zu tun. Er setzte zur Landung auf einer freien Wiese nördlich des Steinkreises an. Wir erreichten durchgeschüttelt, aber wohlbehalten den Boden. Ich sah fragend auf den Piloten. Dieser nickte nur in Richtung Süden. Etwas befremdet machte ich mich mit den anderen vier Gestalten auf den Weg. Wir fanden Stonehenge nach einer guten Wegstrecke vor, umzäunt von Elektrodraht und unzugänglich. Ich seufzte und war über meine Luftbilder froh. Vor dem verschlossenen Tor wartete ein quietschgelber Kleinbus, dessen indischer Fahrer uns fröhlich zulächelte:
„Zurück nach London?“


Ich nickte resigniert und kletterte auf einen der Sitze. Meine Begleiter wollten auf den Wächter des Kreises warten. Auch gut. Der Bus schaukelte mich in Richtung London zurück, ich beobachtete die Landschaft draußen erstaunlich träge vorbeiziehen. In London organisierte ich sofort meine Abreise. In Deutschland gab es noch genug Dinge zu sehen. Ich machte mich ohne weitere Umwege auf zum Schloss Neuschwanstein. Etwas enttäuscht stellte ich fest, dass in seinen Räumen ein Internat untergebracht zu sein schien. Uniformierte Schüler beiderlei Geschlechts, Lehrer in dunklen Anzügen und Lehrerinnen in ebensolchen Kostümen hasteten über die Gänge. Ich stand mit meiner Kamera verloren dazwischen. Eine Lehrerin mit dunkelblondem Dutt, Haarnetz und dem Charme eines Fräulein Rottenmeier eilte vorbei. Ich hob die Hand, um sie aufzuhalten, doch sie ignorierte mich. Also machte ich mich auf eigene Faust auf, mir das Schloss-Internat Neuschwanstein anzusehen. Als Erstes fand ich das Büro des Rektors. Hier hatten sich einige der Lehrer versammelt. Der Direktor war ein dicker Mann mit Glatze. Er trug ebenfalls einen dunklen Anzug, zog an einer Zigarre und beachtete mich nicht weiter. Die Ansammlung an Menschen in diesem Büro wirkte irgendwie unecht. Als handele es sich um Wachsfiguren oder Gemälde. Ich hatte nicht das Gefühl, in diesem Raum Hilfe zu finden. Eine Weile besah ich mir die getäfelten, goldverzierten Wände, die teuren Wandteppiche und den Mahagonischreibtisch, um dann den Raum ruhigen Schrittes zu verlassen.


Ich folgte einem langen Gang zu einer Art Halle. Den Boden zierten Goldintarsien, die Eingänge waren mit dicken Vorhängen verhangen. Die Eltern der Internatsschüler zahlten sicher ein Vermögen. Ich sah mich im Raum um und wollte gerade durch eine der Türen, als der Boden unter mir zitterte. Ein Erdbeben? Hier? Ich stand irritiert vor der Tür, durch die ich gerade im Begriff zu gehen war. Einige Schüler und Lehrer rannten panisch an mir vorbei nach draußen.


„Das Schloss stürzt ein! Ein Erdbeben!“


Ich sah ihnen nach und schüttelte den Kopf. Wir waren mitten in den Bergen. Drinnen konnte es nicht so gefährlich sein wie draußen. Sicher gab es einen sicheren Raum. Ich tastete mich durch die Flure tiefer in das Schloss, öffnete jede Tür und prüfte die Decken des Raumes auf ihre Architektur. Als die Erdstöße stärker wurden, fand ich endlich ein Zimmer, das sicher erschien. Die Decke wurde durch Halbbögen gestützt. Der vermutlich stabilste Raum des Gebäudes. Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir und sah mich um. In der Mitte des Raumes stand ein großes, prunkvolles Himmelbett. Die Wände waren bemalt. Szenen aus dem Nibelungenlied, wenn ich es richtig erkannte. Der Boden bebte wieder. Ich ging zum Bett, um mich darunter zu verstecken. Die sichersten Orte bei Erdbeben waren unter Möbeln oder direkt neben Schränken. Ich wartete eine Weile unter dem Bett, bis die Erdstöße nachließen. Dann kroch ich hervor und erschrak. Vor meinem Gesicht baumelte eine Hand. Wann war noch jemand in dieses Zimmer gekommen? Ich zog mich langsam unter dem Bett hervor und blickte vorsichtig auf. Auf dem Bett lag ein junger Mann. Schwarzes Haar und ein täuschend echtes Kostüm der Kleidung von König Ludwig II. Der Mann sah auf. Ich prallte zurück. Wenn das eine Maske war, dann die Beste, die mir je untergekommen ist.


„Wie kommt sie in Unser Schlafzimmer?“


„Bitte?“


„Wie sie in Unser Schlafzimmer kommt!“


Ich war verwirrt. Ein Schauspieler? Ein Darsteller von König Ludwig II von Bayern? In einem Internat? Bei einem Erdbeben?


„Äh, durch die Tür?“


„Was will sie hier?“


„Das Erdbeben.“


„Oh, wir verstehen. Das Schloss ist sicher. Das Schloss wird nicht einstürzen.“


Ich schluckte und sah mich um. Schließlich fasste ich Mut, den hübschen jungen Mann mit dem schwarzen Bart anzusprechen:
„Verzeihung, aber wer sind Sie?“


„Wir? Unser Name ist Ludwig von Wittelsbach. Das ist Unser Schloss. Aber sie braucht sich nicht zu sorgen. Das Schloss übersteht das Beben unbeschadet.“


11 April 2023

Sch(l)äfer (Flashfiction, Fantasy)


 Sie wollte in der Stadt einkaufen. Von ihrem Campus aus war es nur eine halbe Stunde in die Innenstadt, also plante sie ihren Einkaufsbummel nach ihren Vorlesungen. Wie immer, wenn sie in der Universität war, und wie immer im Winter, trug sie die schwarze Lederhose, die schwarzen Lederstiefel und die schwarze Lederjacke, die sie so liebte. Sie fühlte sich wohl in ihrer Lederkluft und sie mochte das Gefühl, auf Fremde bedrohlich zu wirken. Es wiegte sie in Sicherheit. Da es sehr kalt und windig war und sie zu Ohrenschmerzen neigte, trug sie an diesem Tag zudem eine schwarze Wollmütze.
In dieser Kleidung stieg sie vor ihrem Campus in der Nähe des Sportstadions in die Straßenbahn. Sie nahm, wie so oft, eine der hinteren Türen und nahm in der Mitte des Wagens auf einem freien Sitz Platz. Es waren zehn Stationen bis zur Innenstadt. Die Straßenbahn klingelte und setzte sich schwerfällig in Bewegung. Sei beobachtete die Leute, die auf dem Bürgersteig vorbeigingen und die Autofahrer auf der Straße. Immer wieder beobachtete sie so seltsame Begebenheiten. Die ältere Frau mit dem Kind, dass für ihres zu jung war und für einen Enkel zu alt. Sie fragte sich, ob es vielleicht ein Neffe war. Oder adoptiert. Oder ein Kind ihres neuen Mannes aus erster Ehe. Sie machte sich häufig Gedanken zu den Passanten. Kurz hinter der zweiten Station wurden ihre Gedanken jedoch unterbrochen. An der Haltestelle war ein Kontrolleur zugestiegen, der nun vor ihr stand.

Image by sledgirlmt fromPixabay


"Ihren Fahrschein, bitte", murmelte er in der gelangweilten Stimme, die ihr verriet, dass seine Schicht sich langsam dem Ende zuneigen musste. Sie holte ihre Geldbörse aus ihrem schwarzen Rucksack, in welchem sie ihre Universitätsutensilien aufbewahrte. Sie öffnete das Fach für Ausweise und Kreditkarten und zog ihren Studentenausweis hervor. Dieser berechtigte sie zum kostenlosen Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel der Stadt. Der Kontrolleur nahm die scheckkartengroße Plastikkarte und studierte eingehend das Foto. Dann sah er ihr ins Gesicht. Sie erwartete ein Nicken und die Rückgabe ihres Ausweises, doch stattdessen wurde das Gesicht des Kontrolleurs misstrauisch:
"Sind das wirklich Sie?"


Irritiert nickte die Studentin und reichte dem Kontrolleur nun auch ihren Personalausweis. Der Kontrolleur betrachtete diesen genau und ging mit ihm zur Lokführerin. Die Beiden berieten sich einen Moment. Neugierig trat die Studentin auf die Beiden zu. Die Lokführerin war erstaunlich alt, vielleicht achtzig oder gar neunzig Jahre. Ihre weißen Haare und das pergamentene, faltige Gesicht sahen gut aus, sie trug das Alter mit Würde. Als die Studentin den vorderen Teil des Zuges erreichte, hörte sie die letzten Fetzen des Gesprächs:
"Sie ist es, oder?", flüsterte der Kontrolleur.


Die Lokführerin nickte: "Ja, sie ist die Terroristin."


Erschrocken und zornig spannte sich die Studentin und deutete mit ausgestrecktem Finger auf die alte Frau. Als sie sprach, war ihre Stimme gefasst, aber so laut, dass alle anderen Fahrgäste aufsahen:
"Das sind unhaltbare Anschuldigungen! Sie sollten lernen, Leute nicht nach ihrer Kleidung zu beurteilen!"


Nach dem Ausbruch riss sie dem Schaffner ihre Ausweise aus der Hand und stieg wutentbrannt an der nächsten Haltestelle aus der Straßenbahn. So weit war es nicht, sie würde zu Fuß in die Innenstadt gehen. Von der Haltestelle führte ihr Weg vorbei an der Klinik und durch einen Stadtwald. In diesem Wald befand sich mittig eine haustiefe Grube. Da die Studentin den Wald auf direktem Weg durchquerte, kam sie auch an der Grube vorbei. Interessiert trat sie näher. Sie hatte dem Wald nie viel Aufmerksamkeit geschenkt. Am Fuß der Grube stand eine alte Scheune, halb in die Erde hineingebaut. Sie beschloss, sich die Scheune genauer anzusehen, und kletterte in die Grube hinab. Sie erreichte das Dach der Scheune und von dort einen umlaufenden Balkon. Dieser hatte eine Tür auf den Heuboden, durch die sie ging. In der Scheune waren Kinderstimmen zu hören. Neugierig trat sie bis ans Ende des Heubodens und äugte hinab. In der Scheune probten einige Grundschüler für ein Theaterstück. Sie erkannte einige Hirten und einen Engel, vermutlich ein Krippenspiel. Lächelnd richtete sie sich auf und verließ die Scheune wieder. Geschickt kletterte sie die Wand der Grube hinauf. Oben angekommen, sah sie noch einmal auf die Scheune zurück. Als sie sich umwandte, um ihren Weg fortzusetzen, sah sie ein Schaf zwischen den Bäumen. Neugierig trat sie etwas vor und beobachtete das Tier. Es kam langsam näher, dann schnaubte es. Es hatte aufgewundene, runde Hörner. Ein Bock. Plötzlich schrie er laut und preschte an ihr vorbei auf die Scheune zu.

07 April 2023

Jedes Ding braucht Struktur – aber braucht jedes Ding dieselbe?

Hallo meine lieben Mitgefangenen in der Welt der Buchstaben!

Quarzkristall (M. Nilov via pexels)
Ich bin ein Planer, ein Eichhörnchen und ein Süchtling nach Struktur. Nicht so schlimm wie mein erster Kristallographie-Dozent an der Uni. Ich züchte keine perfekt spiegelsymmetrischen Zimmerpflanzen. Aber wenn mir all die verlorenen Jahre in den Geowissenschaften eine Sache beigebracht haben, dann diese:
Die Natur liebt Struktur.
Im ewigen Kampf gegen das Chaos sind bestimmte Muster entstanden, immer und immer wieder. Struktur ist Stabilität, eine Waffe gegen den immer drohenden Zerfall. Struktur beginnt auf subatomarer Ebene und zieht sich bis in die komplexesten

Gebilde, das Leben und das Denken.

Was hat das mit Büchern und Geschichten zu tun?

Auch diese folgen bestimmten Mustern. Dem Kontinuum von Ereignissen und Emotionen. Berichte und Bilder erzählen ein Ereignis, Musik ist beinahe reine Emotion. Bilder- und Kurzgeschichten, Romane, Theater, Film, Gedichte und Lieder liegen alle auf dem Weg irgendwo dazwischen. Aber alle diese Erzählformen, abgesehen von Bildern, haben noch eine andere Sache gemeinsam: den dreiteiligen Aufbau.
Selbst der überzeugteste Drauflosschreiber hat am Ende eine Geschichte, die einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat. Warum? Weil dies ein natürlicher Ablauf ist.
Wir Menschen kommen an einen neuen Ort, lernen, uns zurechtzufinden, und schließen neue Freundschaften und Feindschaften (Anfang). Erst danach entdecken wir diesen neuen Ort mit all seinen Gefahren, Versuchungen und Freuden (Mitte). Und irgendwann sind wir entweder an diesem neuen Ort zuhause oder kehren in unser altes Zuhause zurück (Ende). Aristoteles‘ Idee der drei Akte ist nichts weiter, als der Ausdruck einer natürlichen Gegebenheit. Und weil diese Struktur unserer menschlichen Lebenswelt entspricht, findet sie sich auch in unseren Erzählungen wieder. Es ist die Erfahrung, die wir alle teilen. Es ist der Weg, nach dem man Dinge erlernt. Abstrakte genauso wie Praktische.

Was ist mit der Struktur, die Ratgeber vorschlagen?

Viele Ratgeber, die man findet, gehen sehr viel detaillierter auf die Form einer Geschichte ein. Sie reden von Set-Up und Zweifel, von auslösenden Ereignissen, Wendepunkten und emotionalen Tiefen. Und das alles in einer handlichen, übersichtlichen Linie – dies ist DIE Struktur, die alle Menschen anspricht und sich deshalb gut verkauft. Daran ist nichts falsch, allerdings ist diese Betrachtung einseitig und funktioniert nicht für jede Geschichte.
Tatsächlich kommen all die Phasen und Ereignisse in einer guten Geschichte vor, aber nicht zwingend in der Reihenfolge und nicht zwingend nur einmal. Das führt zum nächsten Problem, das mir in vielen Ratgebern aufgefallen ist: der eine Protagonist. Geschichten jeder Art haben nur einen einzigen Helden, der seine Probleme zu bewältigen hat und die Geschichte voranbringt. Alle anderen Figuren – mit Ausnahme des Gegenspielers – haben sich diesem Helden unterzuordnen. Diese Konstellation ist zwar üblich, da ein einziger Held leichter zu verfolgen ist, aber nicht die einzig sinnvolle. Tolkiens „Herr der Ringe“ hat mehr als einen Protagonisten und schafft es trotzdem, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen. Etwas weniger bekannt ist Peter S. Beagles „Es kamen drei Damen im Abendrot“ mit fünf gleichwertigen Protagonisten. Oder David Mitchells „Chaos“ und „Wolkenatlas“, die erst im Rückblick einen zusammenhängenden Text ergeben.

Woher kommt diese Einseitigkeit?

Konzept des Monomythos, englisch
Konzept des Monomythos
Während der eine Protagonist ein wiederkehrendes Motiv ist – wie erwähnt erzählt es sich leichter, außerdem hat es in epischen Werken durchaus etwas mit dem zu tun, das man heute Fanservice nennt – ist die lineare Handlung ein recht neues Konstrukt. Viele Mythen mäandern, fließen über eine breite Ebene von Zeit und Raum, durchaus auch mit mehr als einem Protagonisten. Wer ist die wichtigste Person im trojanischen Krieg? Achilles, der Held der Ilias? Agamemnon? Odysseus, der den Krieg beendet? Paris, dessen Handlung ihn
überhaupt erst entfacht hat? Alle erfüllen wenigstens eine Voraussetzung, um Protagonist zu sein. Alle sind gleichwertig. Fehlt einer, entwickelt sich die Geschichte anders.
Der Fokus auf die lineare Geschichte kam vermutlich mit Joseph Campbells Versuch, eine Art urmenschliche Mythenstruktur, den Monomythos, zu finden. Allerdings ist sein Ansatz fragwürdig. Er analysiert insbesondere Texte europäischen Ursprungs (mit männlichen Hauptfiguren) oder deren Vorläufer und baut daraus das Konzept der Heldenreise, mit dem er fortan alle anderen Geschichten analysiert, die ihm begegnen. Die Heldenreise ist eine lineare Struktur, die einem einzelnen Helden folgt. Das typische (und passendste) Beispiel ist die Odyssee, die Geschichte von Odysseus‘ Irrfahrten – eine Sammlung einzelner Abenteuer, die lose in einen zeitlichen Ablauf gebracht worden sind. Später hat Hollywood (und dann insbesondere Disney) diese Struktur zum Grundmuster für Drehbücher gemacht.

Warum?

Die Heldenreise bzw. die etwas veränderte Form, die Hollywood nutzt, eignet sich hervorragend für lineare Kurzformen, wie Filme. Und ja, im Vergleich zu Romanen sind Filme eine emotionsbetonte Kurzform. Ein bebilderter Schritt auf dem Weg zur Musik. Sie gibt klare Checkpunkte und eine wiedererkennbarer Struktur – und damit eine Art Nostalgieeffekt, der die Emotion des Films noch einmal verstärkt. Und sie ist der Grund, weshalb viele Literatur-Verfilmungen schwächer sind als das Buch.

Warum?

Romane folgen nicht zwingend einer linearen Mono-Struktur. Sie verlieren den Fokus, betrachten Details und Nebenfiguren. Die Emotion ist weniger stark, dafür breiter gestreut. Bücher können nicht nur in Zeit und Ort, sondern auch in Sichtweise und Gefühl hin- und herspringen, auf eine Weise, für die Filme keine Zeit haben. Bücher können „den Beat“ (Filmbegriff, ein Handlungsereignis) mehrmals anschlagen. Es kann in einem Buch mehr als ein auslösendes Ereignis, mehr als eine Haupthandlung geben.
Aber viele Ratgeber für Romane basieren auf Ratgebern für Hollywood. Viele Autoren von Ratgebern analysieren Filme – bevorzugt Disney und Pixar, die nicht einmal subtil mit der Struktur umgehen – und schreiben ihre Analysen basierend darauf. Wenn sie Bücher in die Betrachtung mit aufnehmen, machen sie denselben Fehler, den Campbell gemacht hat und wählen solche, die ihrem Ergebnis entsprechen. Schlimmer, sie versuchen, selbst Büchern, die nicht dem Schema entsprechen, ihr Schema überzustülpen. Herr der Ringe ist keine mono-protagonistische Heldenreise wie Star Wars. Selbst Star Wars entspricht nicht exakt Campbells Monomythos, auch wenn der Film sehr viele Elemente davon enthält.

Wichtig für die Struktur ist nur, dass es einen Anfang gibt, um die Welt kennenzulernen, und ein Ende, um sie als Teil des normalen Lebens anzuerkennen. Und eine wilde Mitte dazwischen. Wie viele gleichbedeutende Handlungen es auf dem Weg gibt, liegt in der Hand und den Fähigkeiten des Autors.
Aber wenn ihr mit dem Ziel einer Verfilmung schreibt – oder noch sehr am Anfang steht – helfen all die linearen Strukturen durchaus weiter. Es ist die Form, an die Menschen heutzutage am besten gewöhnt sind. Also ist es nicht falsch, sich daran zu orientieren. Allerdings sollte man nicht jede Idee in die Struktur hereinprügeln. Ein halbflüssiger Kuchenteig lässt sich ja auch nicht wie Keksteig ausstechen.

Trotzdem ist es nicht verkehrt, einige Strukturelemente im Blick zu behalten. Der Übergang zwischen Anfang und Mitte und der zwischen Mitte und Ende sind wichtige Wendepunkte. Außerdem sollte es wenigstens ein auslösendes Ereignis und wenigstens einen Tiefpunkt geben. Ein Wendepunkt in der Mitte der Geschichte macht die Dinge übersichtlich – ist aber nicht so notwendig, wie man vielleicht auf den ersten Blick glauben mag.

TL;DR:

Wählt die Struktur, die zu eurem Stil und eurer Geschichte passt. Lest nicht nur einen Ratgeber, seht euch mehrere Ideen an. Analysiert selbst die Bücher, die ihr mögt, und folgt deren Beispiel. Kopieren ist ein wichtiges Werkzeug in Kunst und Handwerk. Kopiert Plotpunkte und Strukturen, erzählt eure Lieblingsgeschichten neu. Lernt erst ein bewährtes Rezept, ehe ihr eine eigene Kreation versucht. Gebt nur kein abgeschriebenes Werk als euer eigenes aus.

In diesem Sinne frohes Schreiben!
SaSa

04 April 2023

Die Flucht (Flashfiction)

 Sie hatten sich im Kerker unter dem Palast kennengelernt. Beide waren Kleinkriminelle und warteten auf ihren Prozess. Und beide wollten nicht tatenlos bleiben. So beschlossen sie gemeinsam ihre Flucht. An einem Nachmittag stahl einer von ihnen den Wachen den Schlüssel und während der Wachablösung brachen sie gemeinsam aus. Sie folgten den endlosen, labyrinthischen Gängen bis hinaus auf den Innenhof des Schlosses. Nun lag das Hauptgebäude vor ihnen, einer der am besten bewachten Plätze der ganzen Stadt. Und ihr einziger Weg in die Freiheit. Ohne sich umzusehen, hasteten die beiden Männer über den Platz.
Mit einem Mal erklangen hinter ihnen laute Stimmen und sie wussten, dass man ihre Flucht bemerkt hatte. Sie rannten schneller, erreichten das Hauptgebäude. Doch der direkte Ausgang war bereits von Wachen versperrt. Ratlos sahen die Beiden einander an, bis einer von ihnen auf die Idee kam, es über die Galerie des großen Bankettsaals zu versuchen. Diese hatte zwei Ausgänge. Einer führte zu einer Treppe in ihrer Nähe, der Andere zu einer in der Nähe der Küche. Eilig rannten sie die Stufen hinauf. Ihre Verfolger kamen immer näher.
Völlig außer Atem erreichten die beiden Männer die Tür auf die Galerie, durchquerten sie und schlossen sie hinter sich. Einen Moment lehnte einer von ihnen keuchend mit dem Rücken an der Tür. Sie hörten von draußen das Gebrüll der Männer, dann ein Schlüsselklirren. Erschrocken sprang der Müde auf und zog an der Tür, doch sie war verschlossen.
"Sie haben uns eingeschlossen!", teilte er panisch seinem Kameraden mit. Dieser versuchte nun ebenfalls, die Tür zu öffnen. Doch sie blieb verschlossen. Geistesgegenwärtig deutete er auf den zweiten Ausgang und drängte den Müden zur Eile. Gemeinsam gingen sie eiligen Schrittes über den Gang. Vorsichtig, scheu berührte der Müde den Türknauf und zog daran. Die Tür ließ sich nicht öffnen. Er sah zu seinem Kameraden. Dieser versuchte ebenfalls sein Glück, doch auch die Tür zur Küche war verschlossen. Sie waren eingesperrt. Nun erst besahen sie sich den Raum genauer. Sie waren auf einem höheren Stockwerk, der Saal selbst war zweieinhalb Stockwerke hoch. Über die Brüstung konnten sie nach unten sehen, doch der Sprung aus dieser Höhe war gefährlich. Zumal es auch im Saal selbst keinen sicheren Ausgang gab. An der Decke in der Mitte des Saals hing ein gigantischer Lüster aus Messing mit kristallenen Anhängern. Er endete ungefähr auf der Höhe der Galerie, war jedoch mehrere Meter entfernt. Gegenüber der Brüstung befand sich ein riesiges Fenster, dass den Raum in der gesamten Breite und Höhe einnahm. Wenn sie nur von der Brüstung mit genug Kraft durch das Fenster kämen ...
Der Kamerad des Müden zog einige Scheiben Brot aus seiner Tasche und teilte sie unter den Männern auf. Während sie stumm aßen und über ihre Flucht nachdachten, hörten sie von draußen das Gemurmel der Wachen.
"Ob sie uns hier gefangen nehmen?", flüsterte der Müde.
Sein Kamerad schüttelte den Kopf: "Ich glaube kaum. Sie werden uns aushungern wollen. Wir müssen einen Weg hier herausfinden."
Er deutete mit dem Kopf auf den Lüster: "Was wir benötigen, ist ein Seil."
Der Müde nickte stumm. Sie brauchten ein Seil, doch sie hatten keines. Nachdem sie gegessen hatten, gingen sie beide die Galerie entlang und überlegten weiter, was nun zu tun sei. Schließlich trat der Kamerad des Müden gegen einen Pfeiler der Brüstung und brach ihn so heraus. Er zog seine Kleidung aus und knüpfte sie an den Pfosten. Dann befahl er dem Müden, dasselbe zu tun. In der Hoffnung, dass sein Gerät lang genug sei, schwang er es über seinem Kopf und zielte schließlich auf den Lüster.
In diesem Moment betrat der Hauptmann der Wache die Galerie.