25 April 2023

Die Tierwanderung (Flash Fiction)

 Endlich wieder in Afrika. Die Umstände waren zwar anders, als ich es mir erhofft hatte, aber das war gleich. Seit ich den Süden dieses riesigen Kontinents das erste Mal betreten hatte, ging mir Afrika einfach nicht mehr aus dem Kopf. African homesickness nennt sich das Phänomen. Schon erstaunlich, es muss viele Leute betreffen, wenn es sogar einen Namen hat. Hier war ich also wieder, irgendwo in der Nähe von Johannesburg, zusammen mit einer guten Freundin und meinem Mischlingshund.
Es war meine Freundin, deretwegen ich hier war. Sie hatte vor einigen Jahren ihre Schauspielkarriere begonnen und vor Kurzem in einer südafrikanischen Fernsehserie eine Dauerrolle ergattert. Wie auch immer sie das geschafft hatte. Nun stand ihr jedenfalls eine Preisverleihung bevor. Wir machten uns zu Fuß von ihrem Haus aus auf zu dem Hotel, in dem die Festlichkeiten stattfinden sollten. Es war ein längerer Fußmarsch von fast zwei Stunden, aber wir hatten ja den Hund dabei. Am Ziel erwartete uns ein klimatisierter Raum und Cocktails. Die Feierlichkeiten waren ätzend langweilig. Eine große Schar paradisvogelhafter Gäste, Klappstühle aus Plastik und eckehafter, sirupartiger Kokosnusscocktail. Noch nicht einmal ein anständiger Tequila Sunrise. Oder wenigstens eine Cola. Das Einzige, was noch langweiliger war, war die eigentliche Zeremonie. Selbst meine Freundin kannte kaum eine der Gestalten, die dort einen Preis entgegennahmen. Und sie bekam natürlich auch keinen. Ich war froh, als wir gehen konnten. Unser Rückweg führte uns von dem recht hübschen Hotelgelände in einen Wald. Südafrika sah stellenweise auch nicht anders aus als Deutschland. Wir spazierten mit dem Hund auf dem Waldweg und schwiegen uns an.

Image by Monika from Pixabay

Urplötzlich brach ein großer Kudu aus dem Gebüsch oder vielleicht auch ein Nyala. Auf alle Fälle eine große Antilope. Sie kreuzte unseren Weg und verschwand auf der anderen Seite im Wald. Der Hund hetzt kläffend hinter ihr her. Bevor ich reagieren und den Hund zurückrufen konnte, folgten der Antilope drei Männer. Sie alle waren Weiße und trugen nur eine spärliche Lederkleidung. Einen Lendenschurz, primitive Stiefel und eine Art Schärpe aus Leder. Ihre Gesichter waren bemalt und sie waren mit kleinen Bögen und Pfeilen bewaffnet. Wir waren so verdutzt, dass ich den Hund ganz vergessen hatte. Als wir gerade dazu ansetzte, weiter zu gehen, tauchte eine weitere Antilope auf. Das Tier hatte große Hörner und war offenbar sehr wütend. Es blieb direkt auf dem Weg stehen, schnaubte und senkte den Kopf. Wir sprangen erschrocken ins Gebüsch und registrierten erst danach, dass die Drohgebärde nicht uns galt, sondern einem weiteren Antilopenbock hinter uns. Dennoch fand ich es sicherer, den Wald schnellstmöglich zu verlassen.


Wir erreichten eine weite Ebene voll gelbem Gras, durch die sich ein Trampelpfad schlängelte. Ich hatte das ungute Gefühl, dass wir uns nach dem Erlebnis mit den Antilopen verlaufen hatten. In der Ferne konnte ich ein Haus oder etwas in der Art sehen.


„Vielleicht finden wir dort jemanden, der den Weg kennt ...“, murmelte ich und ging voran. Auf der südlichen Seite des Weges, zu unserer Linken, befanden sich eine Menge an Tieren. Verschiedene Antilopen, Gazellen, Schafe und Rinder, aber auch Löwen und Wildhunde. Von dem friedlichen Bild abgesehen war diese Menge an Tieren auch in Afrika eher ungewöhnlich. Ich blieb stehen und kramte nach meinem Fotoapparat. Als ich ihn aus der Tasche zog, setzten sich alle Tiere gleichzeitig in Bewegung und zogen in einer riesigen, aber offensichtlich sehr geordneten, Masse nach Norden. Verwirrt sah ich ihnen hinterher, dann ging ich weiter. Meine Freundin folgte. Wir erreichten gemeinsam das Bauwerk, das sich als alte Arbeiterhütte aus Stein erwies. Ich hatte ähnliche Gebäude schon in Namibia in den Claims in der Wüste gesehen und in Kleinstädten und Vororten in Südafrika. Allerdings noch nie ein einzelnes Gebäude mitten in der Wildnis. So oder so, es war unbewohnt und bot auch keinen Schutz. Wir mussten also weitergehen. Erst jetzt bemerkte ich, dass es noch immer Nachmittag war. Die Sonne schien sich nicht zu bewegen.


Während wir weitergingen, sahen wir mehrfach Ströme verschiedenster Tiere in Richtung Norden ziehen. Immer wirkten sie geordnet und friedlich. Manchmal fanden sich dazwischen auch Menschen. Alle von ihnen wirkten Blond, obwohl sie sicherlich unterschiedliche Haarfarben hatten. Sie alle trugen sehr einfache Kleidung, manchmal aus Leder, häufiger noch aus Bananenblättern. Und im Gegensatz zu den drei Jägern im Wald waren sie alle barfuß. Da ich mittlerweile meinen Fotoapparat aus der Tasche geholt hatte, hielt ich einige der Szenen fest. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Die Sonne stand still am Himmel und die Tiere strömten alle zu einem Punkt. Das alles erinnerte mich an etwas.


Endlich erreichten wir ein Hotel. Wir baten das personal, uns in die Stadt zu fahren, allerdings erzählten wir nichts von unseren Beobachtungen. In Johannesburg trennten sich die Wege meiner Freundin und meine. Ich suchte eilig einen Copy Shop auf, um mein Foto ausdrucken und gleich laminieren zu lassen. Ich hatte das Gefühl, dass das Foto eine Menge Wasser aushalten musste, bis man es sich wieder ansah. Meine Freundin hatte mir mitgeteilt, sie wolle nach Deutschland zurückfliegen. Ich hielt das für eine gute Idee, zumal sie offenbar meine Nervosität angesichts der Tierwanderung nicht teilte.
Ich kehrte in die Wildnis zurück, um der Sache auf den Grund zu gehen. Und, um die Arche zu finden, zu der die Tiere strömen.


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