Wir hatten zusammen einigen grenzwertigen Blödsinn angestellt, Nina und ich, aber ich glaube, dass die Sache mit der Domäne Blumenrod das mit Abstand spektakulärste Bubenstück war. Wir waren, wie alle Teenager, auf Abenteuer aus und was lag näher, als ein verfluchtes Haus zu untersuchen? Nina hatte Geschichten über Geister in der Domäne aufgeschnappt, immer wieder erzählt und weiter ausgeschmückt. Das Gebäude war baufällig, mehrere Firmen hatten sich angeblich an der Renovierung versucht, und waren gescheitert. Angeblich weil jemand oder etwas die Bauarbeiten behinderte. Dabei war erst von Einbrechern die Rede, dann von Obdachlosen, Sekten, Geistern und schließlich Dämonen. Als die Geschichte nicht mehr zu steigern war, entschlossen wir uns, dem Ganzen selbst auf den Grund zu gehen.
Wir beobachteten das Gebäude über mehrere Tage von unserer Seite des maroden Bauzauns aus, sammelten alle möglichen Gerüchte, lasen die Warnschilder und den Hinweis auf Denkmalschutz am Zaun und versuchten herauszufinden, ob Arbeiter die Baustelle betraten oder nicht. Zu unserer Überraschung war tagsüber nie jemand zu sehen.
Schließlich kam die große Nacht. Wir hatten uns mit grünem Tee und Kaktusfeigensaft, der damals bei uns groß angesagt war, wach gehalten. Ninas Eltern waren nicht zu Hause, ihr kleiner Bruder schlief oder war mit seiner Playstation beschäftigt. Wir beiden Teenagermädchen waren allein und hatten in dieser Nacht alle Freiheiten. Und das nötige Wissen um die Domäne. Es gab außer dem Gerücht keine allgemein bekannten Spukgeschichten über den Ort. Offenbar lag die Baustelle einfach nur brach, was uns sehr entgegenkam. Denn auf einer leerstehenden Baustelle würde uns niemand sehen.
Wir packten uns jeder ein Trinkpäckchen mit Kaktusfeigensaft in die Taschen, schnappten uns unsere Jacken und eine Taschenlampe und legten den kurzen Weg von Ninas Haus zu der Domäne zurück. Dort angekommen quetschten uns durch eine Lücke im Bauzaun, die uns bei unseren vorherigen Besuchen nicht aufgefallen war. Irgendjemand musste den Zaun an der Stelle verrückt haben, um selbst auf die Baustelle zu gelangen.
Vom Bauzaun aus gelangten wir in eine Art Säulengang, von dem Nina erklärte, dass es sich um den ehemaligen Stalltrakt handelte. Vor uns lag im Restlicht der Straßenlaternen der breite Gang und dahinter der Hof der Domäne. Wir huschten durch die Bogengänge, immer darauf bedacht, im Schatten zu bleiben, und erreichten einen Graben, der die ehemaligen Stallungen vom Hof abtrennte. Auf der anderen Seite konnten wir deutlich das alte Pächterhaus erkennen. Nicht wegen des Mondlichts, sondern weil in einem der Fenster Lich brannte. Mit dem Licht hatten wir einen starken Hinweis, dass es ich bei den mysteriösen Gestalten zumindest nicht um Gespenster handelte.
Während mich die Erkenntnis, es mit Menschen zu tun zu haben, eher beruhigte, bewirkte sie bei Nina das Gegenteil. »Vielleicht sollten wir das Ganze sein lassen und heimgehen? Ich meine, wenn da wirklich ein Psychopath oder ein Satanist wohnen?«
Ich schnappte mir die Taschenlampe aus Ninas Jackentasche und deutete auf den Hof. In mir war die Detektivader wieder erwacht, die sich seit meiner Mickey-Maus-Zeit versteckt gehalten hatte. »Wenn mir jemand was will, kann ich ihm damit eins überziehen. Du bleibst hier und wartest, ich gehe nachsehen, wer da in dem Gebäude ist!«
Nina wich zögerlich in den Schatten einer Säule zurück. Wir kannten uns lange genug, dass sie meinen Sturkopf nicht infrage stellte.
Ich umklammerte die Taschenlampe, schlich aus dem Stalltrakt heraus, kletterte in den Graben hinab und auf der anderen Seite wieder raus und sah mich dann auf dem großen Innenhof um. Es waren mehrere Meter bis zum Wohngebäude, schwer zu schätzen, wie weit genau. Allerdings sah ich im Mondlicht, dass eine Tür neben dem Fenster angebracht war. Ich konnte den beleuchteten Raum also problemlos erreichen.
Ich duckte mich und ging mit großen Schritten auf die Tür zu. Damals war ich überzeugt, dass alle großen Detektive und Einbrecher denselben Laufstil haben mussten, um nicht gesehen zu werden. Ich hatte vielleicht die Hälfte der Strecke hinter mich gebracht und war gerade dabei, im Windschatten des Wohngebäudes nach Deckung zu suchen, als das Hoflicht aufflammte.
»Der Mörder!«, brüllte Nina aus dem Stallgebäude.
»Scht!«, machte ich, richtete mich aber auf und rannte in ihre Richtung. Als ich den Stall deutlich sehen konnte, hechtete ich darauf zu, landete jedoch am Hang des Grabens. Ich rollte mich über die Schulter ab, ein Manöver, von dem ich nicht wusste, dass ich es noch beherrschte, richtete mich auf und krabbelte in den Stall. Erst dort angekommen, wandte ich mich um und sah über den Hof, ob der psychopathische, untote Mörder mir gefolgt war. In dem Moment hatte ich allerdings mehr Angst vor der Schelte, weil wir in ein fremdes Gebäude eingedrungen waren als um mein Leben. Das Licht im Fenster brannte noch immer, ansonsten war dort nichts zu sehen. Rechter Hand verschwand eine Katze im Schatten eines weiteren Gebäudeteils.
Ich schüttelte den Kopf. »Das war bloß eine streunende Katze. Was für ein Blödsinn. Dabei war ich fast an der Tür. Los, lass es uns nochmal versuchen!«
»Du spinnst doch total! Wir sollten gehen, bestimmt kommt der Typ da gleich raus und bringt uns um die Ecke!«
»Ich glaube nicht, dass das Mörder sind.« Ich zuckte mit den Schultern, gab aber Ninas Willen nach. Vielleicht war es eine bessere Idee, abzuwarten, bis niemand auf dem Gelände war. Wir kehrten zu ihr nach Hause zurück.
Einige Wochen später wollten wir einen neuen Versuch wagen, doch der Bauzaun war mittlerweile vollständig ersetzt und bot keine Lücken mehr, durch die man in das Gebäude hätte vordringen können. Die Domäne befand sich damals schon im Besitz einer ehrenamtlichen, evangelischen Stiftung und wurde von Helfern in deren Freizeit renoviert. Vielleicht war es gut, das damals nicht zu wissen. So hatten wir wenigstens ein kleines Detektiv-Abenteuer erlebt, auch wenn es nicht erfolgreich war.
Sie betrat wie jeden Morgen den Bahnhof. Es war kurz nach sechs Uhr und noch dunkel, obwohl man bereits eine Ahnung des nahenden Sommers haben konnte. Wie immer hatte sie den Weg vom Busbahnhof zu ihrem Zug im Laufschritt zurückgelegt. Es hatte wenig mit der Kälte oder der Dunkelheit zu tun. Auch der schlechte Ruf des Bahnhofsvorplatzes ließ sie kalt. Das Tempo ihrer Schritte war mehr eine Gewohnheit. Wie das Treppensteigen oder das Stehen an Haltestellen. Sie sagte sich immer, dass es diese Kleinigkeiten seien, die ihr erlaubten, niemals über ihre Essgewohnheiten nachdenken zu müssen und dennoch schlank zu bleiben. Der Zug war mit ihr gemeinsam eingetroffen, wie immer, wenn der Bus pünktlich an seinem Ziel angekommen war. Es war einer der großen, roten Doppelstockzüge, die die Deutsche Bahn auf ihren Nahverkehrsstrecken in der Nähe größerer Städte einsetzte.
Sie wartete am ersten Wagen hinter der Lok, bis sich die Türen öffneten. Sie warf einen Blick auf die anderen Reisenden, fast alles Pendler wie sie. Studenten, Schüler, Angestellte, Beamte. Doch an diesem Morgen war wenig los. Neben ihr wartete ein Rentnerehepaar, schwer ausgestattet mit Koffern und Taschen. Offenbar auf dem Weg in den Urlaub. Die Türen öffneten sich und einige Pendler stiegen aus. Sie ließ sie durch und stellte sich dabei so vor die Rentner, dass diese nicht in den Zug drängen konnten. Zum einen hasste sie die Hektik, die vor allem Urlaubsreisende ausstrahlten, die sich nicht einmal an die elementarste Regel halten konnten: Erst die Andern aussteigen lassen. Zum Anderen hatte sie eine fast schon zwanghafte Gewohnheit: Sie saß immer im unteren Abteil auf einem bestimmten Sitz. Immer. Wenn ihr das nicht möglich war, wurde sie nervös. Der Wagen war ihr dabei egal. Wichtig war die Lage des Sitzes. Alles war wie sonst auch an diesem Morgen. Bis ihr beim Einsteigen in den Zug etwas auffiel. Auf dem Boden klebten Fußabdrücke aus Joghurt. Oder weißer Farbe oder Milch. Sie vermied es, in die Abdrücke zu treten und betrachtete dabei kopfschüttelnd den Boden. Sie konnte Leute nicht ausstehen, die öffentliches Eigentum verdreckten. Insbesondere nicht mit offenbar klebrigen Materialien. Sie ging zur Treppe. Natürlich kamen die Fußspuren aus dem unteren Abteil. Sie seufzte. Hoffentlich kamen sie nicht von ihrem Platz. Doch nach einigen weiteren Schritten stutzte sie. Sie blickte zurück zur Tür, dann wieder vor sich. Die Fußspuren zeigten eindeutig in Richtung der Tür. Es waren Spuren von Herrenschuhen, etwa Größe 43 oder 44, nicht allzu viel größer jedenfalls als ihre Winterschuhe. Und die Zehen zeigten zur Tür. Doch je weiter sich die Abdrücke von der Tür entfernten, je weiter ins Abteil sie kamen, desto blasser wurden sie.
Die junge Frau überlegte einen Moment nach einer rationalen Erklärung. Vielleicht war die Person erst irgendwo im Abteil durch die Flüssigkeit gelaufen? Nein, unsinnig. Wäre dem so, müssten die Spuren auch zur Tür hin blasser werden. Der Träger der Schuhe hatte sich vielleicht die Masse übergeschüttet. Eine gute Möglichkeit. Aber dann sollten die Spuren gleichmäßiger sein. Sie lehnte gegen einen Sitz und musterte die Spuren, die hier im Abteil auch ein klares Profil aufwiesen. Ihr fiel eine letzte Möglichkeit ein: Der Träger musste rückwärts gelaufen sein. Zwar wusste sie nicht, warum jemand rückwärts durch ein Zugabteil laufen sollte, doch ihr erschien diese Lösung dennoch schlüssig. Sie hatte die Person zwar nicht aussteigen sehen, aber das konnte daran liegen, dass der Träger an einer früheren Haltestelle den Zug verlassen hatte. Sie beschloss, den Spuren zu folgen. Sie mussten ja irgendwohin führen. Tatsächlich lag ihr Ursprung im ersten Wagen in der linken Sitzreihe. Am drittletzten Platz, dem Platz schräg hinter ihrem. Aus irgendeinem Grund hatte sie erwartet, hier jemanden vorzufinden, doch nichts war zu sehen. Nur die fast unsichtbaren Abdrücke der Schuhsohlen. Fast gegen ihren Willen, vor allem aber gegen ihre Logik, warf sie einen hastigen Blick in die Gepäckablage über dem Sitz, dann unter den Sitz. Natürlich war niemand da. Sie lachte über ihren eigenen, unsinnigen Gedanken und setzte sich auf ihren üblichen Platz. Sie nahm ihr Buch aus ihrem Rucksack und begann zu lesen. Nach einer Weile klappte sie das Buch zu, verstaute es im Rucksack und beschloss, zu schlafen. Vorher sah sie noch einmal auf den Sitz.
Hallo meine Mitgefangenen in der Welt der Buchstaben!
Neue Woche, neues Glück oder so ähnlich. Es ist wieder ein Donnerstag und damit Zeit für eine Top-Ten-Liste. Das Thema der Woche:
10 Bücher mit einem roten Cover
Die Aufgabe war deutlich schwerer, als ich erwartet hatte. Ich habe zwar etliche Bücher mit rotem Cover, aber das sind entweder Kochbücher, biologische Fachwälzer oder Bücher, bei denen der Schutzumschlag verloren gegangen ist. Passiert euch das eigentlich auch so häufig, dass der Schutzumschlag abhanden kommt? Ich hasse das. Ich hasse Schutzumschläge. Aber sei's drum.
Hier ist das erstaunlich befriedigende Bild in Rot (und dunkelbraun):
Dieses Mal verzichte ich in der Liste auf eine Zusammenfassung, da ich die Hälfte der Bücher noch nicht gelesen habe. Was ein wenig schade ist, weil ich eigentlich gerne ein paar Worte darüber verliere. Aber die "Damen", "Dracula" und "Wolkenatlas" hatten wir sowieso vor ein paar Wochen schon und die beiden letzten Bücher sind Kuriositäten-Sammlungen, keine Romane. Einzig über Urasawas "Monster" sollte man ein paar Worte verlieren:
Schaut euch den Anime dazu an. Alle. Jeder. Ohne Ausnahme. Ein Gehirnchirurg rettet einem kleinen Jungen das Leben, doch der entpuppt sich als Massenmörder. Und alle Spuren fallen auf den Arzt zurück. Dieser muss nun versuchen, den Jungen aufzuhalten, während er vom BKA verfolgt wird. Und ich meine das ernst. Schaut euch den Anime an. Lest den Manga. Wenigstens eins von beidem. Aber in dem Fall finde ich die Verfilmung besser. Egal.Zur Liste.
Peter S. Beagle: Es kamen drei Damen im Abendrot
Bram Stoker: Dracula
David Mitchell: Wolkenatlas (das unroteste Cover)
U. Pozwanski: Erebos
Gabriel García Márquez: Chronik eines angekündigten Todes
Davir Mitchell: Slade House
Imraan Coovadia: A Spy in Time
Naoki Urasawa: Monster
Maik Spörrle und Lutz Schuhmacher: "thänk ju vor träwelling"
Rainer Dresen und Anne Nina Schmid: Kein Alkohol für Fische unter 16
Kennt ihr eines der Bücher? Habt ihr es gelesen? Welche würdet ihr lesen wollen? Habt ihr Monster gesehen/ gelesen und wollt darüber diskutieren? Ich bin ganz Ohr! Antworten wie immer in den Kommentaren!
Hallo meine Mitgefangenen in der Welt der Buchstaben und Jebu an alle anderen, die der Titel hierherführt.
Nach langen Jahren widme ich mich endlich mal wieder einer Filmkritik. Nachdem ich bei meinen vorletzten beiden Kinobesuchen schon überlegt hatte, einige Worte über die jeweiligen filme zu verlieren, ist mir das diesesmal ein großes Bedürfnis :-)
Es handelt sich bei dem Film nämlich um die Live-Action zu Saint Seiya, ein Film, den ich seit Bekanntwerden der Dreharbeiten ein wenig mitverfolgt habe. Ich bin seit zwanzig Jahren Fan der Serie, die in Deutschland kaum bekannt ist, und erwarte eigentlich immer mit Schrecken, Spannung und einer gewissen Neugierde neue Erzählungen des Stoffes. Außerdem mag ich trashige Action- und Horrorfilme. Und dass das interantionale Kürzel für den Film KOTZ lautet, macht es nur noch besser.
Also war ich gestern mit einem Freund, der ebenfalls Fan der Serie ist, im Kino. Pünktlich zur Premiere und der vermutlich einzigen Vorstellung. Gegeben, dass mit uns beiden gestern genau drei Leute im Saal waren. Im zweitkleinsten Saal.
Also, hier sind sie, meine Eindrücke von
Saint Seiya - Die Krieger des Zodiak - Der Film
Die Titel sind nicht zwingend in der richtigen Reihenfolge. Damit fängt meine Verwirrung schon an. Zum Namen: Saint Seiya ist der Originaltitel des Manga und der Anime-Serie, der allerdings später für den amerikanischen Markt angepasst wurde zu "Knights of the Zodiak". Warum? Wahrscheinlich um religiöse Gefühle zu schonen. Der amerikanische Titel der Original-Serie ist allerdings der Titel, den heutige internationale Veröffentlichungen des Franchises (also dieser Film und die ehemals auf Netflix, jetzt auf Crunchyroll beheimatete Animationsserie) tragen. Ich hole deswegen hier aus, weil ich im Folgenden Saint Seiya als Titel verwenden werde. Es ist kürzer und ich bin den Origianltitel gewöhnt. Und die Abkürzung "KOTZ" ist schon fragwürdig. Vorab: So schlimm war der Film dann nicht.
Die Handlung
Der Film spielt irgendwie in der Gegenwart, aber auch nicht. In einer Zeit mit einer seltsamen Mischung aus Klapphandys, senkrecht startenden Flugzeugen, unerklärter Hochtechnologie und Cage-Fights. Oh, er spielt in Griechenland, jedenfalls zum Größten Teil. Ergibt Sinn, aber dazu mehr.
Saint Seiya handelt von dem Teenager Seiya, der mit der Gabe ausgestattet ist, sein Cosmo kontrollieren zu können. Er wird dazu auserwählt, Sienna Kido zu schützen, den Inkarnationskörper der Göttin Athena. Zum Zeitpunkt des Films ist er einer von drei noch lebenden Saints (= Krieger der Athena) und der einzige, den Siennas Adoptivvater Alman Kido mit der Aufgabe betrauen kann.
Alman findet Seiya bei einem Straßenkampf irgendwo in einer Großstadt, wo er ungewollt sein Leben mit einem Cosmoausbruch gegen den Betreiber des Kampfringes, Cassios, verteidigt hat. Dadurch wurde Almans Ex-Frau Guraad auf den Jungen aufmerksam. Sie selbst sucht schon seit Jahren nach dem Pegasus-Saint, um seine Energie zur Erhaltung ihres Lebens abzuzapfen.
Alman rettet Seiya mithilfe seines Bodygaurds Milock und bringt ihn auf sein Anwesen nach Griechenland, wo Seiya Sienna kennenlernt. Die beiden haben kurzzeitig einige Teenagerkabbeleien, ehe Seiya den Ernst der Situation zu akzeptieren scheint. Sienna kann das Cosmo Athenas nur begrenzt unterdrücken. Da ihre Adoptivmutter auch hinter ihr her ist, hat Alman sie quasi in der Villa eingesperrt. Die Villa ist zudem mit einem "Cosmo Detection System" ausgestattet, das automatisch alle Signale des Cosmo nach außen abblockt.
Seiya akzeptiert recht motivationslos sein Schicksal, Siennas Bodyguard zu werden, und lässt sich von Milock auf eine andere Insel zum Training bringen. Dort trifft er auf den Silberkrieger (Silver Saint) Marin, die ihn unterrichtet. Die Trainingssequenz umfasst dabei die GESAMTE erste Hälfte des zweiten Akts, ohne, dass es zu einem erkennbaren Fortschritt kommt. Seiya hat, als er zum ersten Mal von der Pegasusrüstung akzeptiert wird, eine Erinnerung an seine Zeit mit seiner Schwester. Diese wurde von Guraad entführt und Seiya sieht dabei auch Alman. Er fühlt sich von diesem ausgenutzt und kehrt - mithilfe Milocks - zur Villa zurück, um ihn zur Rede zu stellen.
Doch soweit kommt es nicht. Sienna fängt ihn noch am Hangar ab und fährt mit ihm auf einem Motorrad an den nächsten Hafen. Dort erklärt sie, dass sie ihrer Mutter als Säugling versehentlich die Arme zurstört hat, da sie ihr Cosmo nicht kontrollieren kann. Ihr Vater konnte die Mutter zwar mithilfe der goldenen Rüstung retten, doch sie ist nun auf das Cosmo anderer Menschen angewiesen, weshalb sie nach entsprechenden Kindern sucht, die sie dann tötet und ihr Blut injeziert. Oder so. Außerdem hat sie einen Hass auf Athena entwickelt, glaubt, die Göttin sei nur gekommen, um die Menschheit zu vernichten und will deshalb ihre Tochter töten. Ich glaube, das ist die Stelle, wo ich kurz erwähnen darf, dass die Geschichte wenig Sinn ergibt. Vermutlich noch weniger für Menschen, die das Original nicht kennen. Was in der englischsprachigen Welt und Deutschland die Mehrheit des Publikums sein dürfte.
Während dieser Aussprache greift Guraad das Anwesen ihres Ex-Mannes an. Die beiden haben einen kurzen moralischen Disput darüber, ob Guraad Sienna töten soll oder nicht (der recht unemotional geführt wird), ehe Alman das Anwesen sprengen will. Guraads Schergen, namentlich Cassios, der mittlerweile ein Cyborg geworden ist, halten ihn auf.
Seiya und Sienna kehren zum Anwesen zurück, was dazu führt, dass sich niemand mehr für Alman interessiert. Guraad überlässt es Cassios, Sienna zu entführen und Seiya zu töten. Dazu kommt es jedoch nicht. Alman schafft es nämlich, die Bombe zu zünden. Um seine Tochter zu retten. Die sich auf dem Anwesen befindet. Und um seine Ex-Frau auzuhalten. Die sich in ihr Raumschiff-Flugzeig-Dingsi retten kann. Seiya, Cassios, Sienna und zwei oder drei weitere Schergen überleben die Explosion. Die Schergen bringen Sienna in Guraads überaus unaufälliges Hochhaus-Labor. Seiya folgt ihnen zusammen mit Milock.
Im Labor schließt Guraad Sienna an eine nicht näher erklärte Maschine an, die das Mädchen - oder zumindest die Göttin in ihr - töten soll. Ihre rechte Hand Nero überwacht den Vorgang. Allerdings bricht Guraad zusammen und will ihre Tochter dann doch retten, als sie sie schreien hört. Nero hält sie davon ab. Er überwindet sie trotz ihrer Cosmo-absorbierenden Handschuhe, und reißt ihr das Tag der Goldrüstung aus dem Körper. Dies führt dazu, dass Guraad langsam an den Verletzungen ihrer Arme stirbt. Glaube ich.
Dann taucht Seiya im Labor auf und liefert sich einen Kampf auf dem Dach mit Nero, der an dieser Stelle als der Phönix-Saint vorgestellt wird. Während des Kampfes schafft es Guraad, die Maschine abzustellen. Allerdings ist Athena jetzt wütend. Ihr Cosmo loderd auf und droht, die ganze Welt zu vernichten. Nero will sie aufhalten und scheitert. Seiya wil sie aufhalten, appelliert an Sienna und schafft es, sie zu beruhigen. Sienna kann daraufhin Athenas Cosmo kontrollieren, heilt ihre Mutter und kehrt mit Seiya an den Ort von dessen Training zurück. Während die beiden in den Sonnenuntergang schauen, plant sie, das Heiligtum wieder aufzubauen und andere Saints zu rekrutieren - um die Götter aufzuhalten, welche die Welt bedrohen. Denn Athenas Geburt in einem menschlichen Körper ist das erste Zeichen eines drohenden göttlichen Krieges.
Verwirrt?
Ja. Ich auch. Und ich kenne das Original und jede Adaption. Ich erkenne die Motive, das Thema, sogar die Bildkomposition wieder. Aber die Geschichte ergibt keinen Sinn. Oder in anderen Worten: Das Drehbuch ist Mist. Die technische Umsetzung ist, entgegen dem, was die Trailer zeigen, eigentlich ganz ok. Die Kulissen sind hübsch und passend gewählt, Spezialeffekte sind tauglich eingesetzt. Die Dialoge waren stellenweise richtig gut und die Hintergrundmusik war top. Der Remix von Pegasus Fantasy ist eine der besten Instrumentalversionen des Liedes. Was eine Leistung ist, denn Saint Seiya hat durchweg einen guten Score.
Die schauspierische Leistung war dagegen mäßig, Neros Besetzung fand ich persönlich unpassend. Die Kampfszenen waren durchweg hölzern und häufig deplatziert. Und Kampfszenen bei einem Superhelden-Actionfilm störend zu machen, ist schon eine Leistung. Nick Stahl, der Schauspieler von Cassios, sah durch weite Teile des Films unzufrieden mit seiner Rolle aus - die noch eine der besseren in dem Chaos war.
Nicht-Kano AKA Cassios
Die Charaktere waren insgesamt meh. Seiyas, Siennas und besonders Guraads Charakterwandel war unglaubwürdig und sehr drehbuch-haft. Wobei es bei Guraad nicht nur der Wandel war, schon der Grundcharakter wirkte überzogen und fabriziert. Hier hätte das Universum der Serie besseren Stoff geboten. Alman Kido (Mitsumasa im Original) und Milock (Tatsumi im Original, eigentlich Butler) wurden im Charakter stark gegenüber dem Original verändert - allerdings beide zum Guten. Milock ist die mit Abstand beste Figur des Films.
Cassios, im Original auch ein eher schwach ausgeprägter Charakter, wurde ebenfalls stark angepasst. Er folgt der Darstellung von ihm in der Animationsserie, allerdings wirkt er im Film besser. Er erinnert mich ein wenig an Kano aus Mortal Kombat, nur in jugendfrei. Definitv auch eine der besseren Figuren, auch wenn er überhaupt nichts mit dem Original gemeinsam hat. Außer seiner Abneigung gegen Seiya, die im Film allerdings schlecht erklärt ist.
Nero (Ikki im Original) frustriert mich. Ich habe ihn - der im Original einen der ausgeprägsten Charaktere aufweist - nicht am Charakter erkennen können. Für die erste Hälfte des Films dachte ich, er wäre eine andere Figur - Jabu. Ikki im Original ist ein dickköpfiger Einzelgänger mit einem starken Hang zur Depression. Im ersten Arc der Serie (auf dem der Film IRGENDWIE beruht) ist er recht aggressiv und zeigt wenig Voraussicht oder Kontrolle. Vor allem ist er unkontrollierbar und wird vom eigentlichen Schurken als eine Gefahr betrachtet. Diesen Zug zeigt er im Film am Ende für knapp zwei Minuten. Davon abgesehen ist er in dem Drehbuch auch völlig überflüssig und eigentlich nur für den Kampf gegen Seiya überhaupt vorhanden (alle anderen Bronzesaints wurden rausgenommen!).
Der Kampf Seiya gegen Ikki am Ende und auch der von Seiya und Cassios am Anfang sollen High Stakes sein und eine tiefe Rivalität oder sogar Feindschaft ausdrücken. Gerade der Kampf gegen Ikki wirkt allerdings bestenfalls wie freundliches Sparring.
Vergleich mit dem Original
Vorab: Ich wusste, dass mich eine Original Story erwartet. Die Abweichungen waren also nicht überraschend und schlimmstenfalls unverständlich. Außer der Sache mit Ikki. Dafür sollten sie sich bei Kurumada entschuldigen. Öffentlich.
Die Charakterentwicklung der beiden Hauptfiguren ist im Film sehr übers Knie gebrochen, was aber der Formatlänge zuzuschreiben ist. Beide entwickeln sich in der Serie über einen vollen Arc. Guraad dagegen ist nicht entschuldbar. Sie ist ein Original Charakter des Films, sie hätte man besser zeichnen MÜSSEN. Ok, Athena auch. Die Fixierung des Films auf eine falsche Darstellung der Göttin hat mir auch nicht gefallen.
Athena ist Göttin der Weisheit, Strategie und Waffen. Im Film wird sie durchgängig mit dem Charakter von Ares dargestellt, dem Gott des Krieges und Gemetzels. Ja, die Aufgabengebiete der beiden überschneiden sich. Nein, Athena ist nicht das jähzornige Wesen, das die Menschheit vernichten will. Nicht in der Mythologie und ganz besonders nicht im Lore der Serie. Athena ist die Beschützerin der Menschen. Was mich zu dem Punkt bringt: Athena kommt nicht auf die Welt und deswegen entsteht ein göttlicher Krieg (was der Film impliziert), sie kommt auf die Welt, weil der Krieg im Entstehen begriffen ist. Ihre Aufgabe ist es, das Schlimmste abzuwenden. Aber das zu diskutieren würde den Artikel sprengen. Vielleicht mache ich irgendwann mal einen über die Serie ...
Die Geschichte im Film besteht aus logischen Löchern, Bruch mit dem Originalmaterial und eienr Reihe Versatzstücke aus verschiedenen Adaptionen.
Nicht-Ikki AKA Nero
Guraad und die Cyborgs stammen aus der Netflix-Staffel der Animationsserie. Guraad ist in der Serie allerdings männlich und Almans Geschäftspartner.
Milock stammt, in der Form wie er im Film auftritt, aus dem Animationsfilm Battle of the Sanctuary
Die Szene mit Sienna und Seiya am Hafen existiert im Original genauso, wie dass Seiya den Hafen auf einem Motorrad erreicht. Allerdings redet er nicht mit Sienna (Saori) über deren Kindheit, sondern mit Miho aus dem Weisenhaus über seine Schwester.
Nero, der die Goldrüstung an sich bringt, ist aus dem Galaxy War Arc der Serie übernommen, wird aber im Film nicht zu Ende gebracht und kommt sehr überraschend.
Teile der Trainingssequenz stammen aus dem Original, wurden aber abgeschwächt. Warum auch immer.
Die Idee mit dem Cage Fight stammt - glaube ich - auch aus der Netflix-Serie, die anschließemde Verfolgungsjagd aus BotS.
Almans und Guraads Geschichte sind original für den Film gemacht. Und der schlechtere Story-Part.
Da sie Shaina, Cassios' Ausbilderin, aus dem Film gestrichen haben, fällt es relativ wenig auf, aber: Cassios trägt ein Tattoo des Sternbilds Schlangenträger, das Shainas Rüstung entspricht. Ein schickes Detail, wenn man bedenkt, wie sehr Cassios im Original an Shaina hängt.
Fazit
Der Film war unterhaltsam. Allerdings glaube ich, dass dies daran liegt, das
s ich das Original kenne. Ohne die Hintergründe dürfte er verwirrend sein, denn das Drehbuch folgt keiner eignen Logik. Die Geschichte besteht aus Puzzelstücken unterschiedlicher Adaptionen, die alle nicht recht zusammenpassen. Es wird kein Handlungsstrang logisch zuende erzählt, viele tauchen mittendrin auf und gehen wieder verloren. Die Charaktere sind teilweise unglaubwürdig, ständig schimmert "Steht so im Drehbuch" durch. Immersion kommt selten auf.
Ich mag Milock und Cassios in dem Film ganz gerne, da hört es allerdings auch auf. Technisch ist er ganz gut umgesetzt, aber das lenkt nicht vom unnötig schwachen Drehbuch ab. Hier hätte man mehr mit dem vorliegenden Material arbeiten können. Dass es geht, beweist Battle of the Sanctuary, der nicht viel länger, aber deutlich besser ist. Generell war die Entscheidung, mit einer Neuadaption des Black-Saint-Arcs anzufangen, recht fragwürdig (wie auch schon bei der Netflix-Serie). Der Arc ist der schwächste Part der Serie und streng genommen überflüssig. Insbesondere in der Form, wie er in diesem Film erzählt wird. Im Original dient er der Etablierung von Ikkis Charakter, der in diesem Film selten vorkommt und zudem NICHT IKKI IST. ARGH. JABU IST NICHT IKKI!
Milock. Warum auch immer mit Y.
Entschuldigung. Hatte ich erwähnt, dass mich die Darstellung von Nero frustriert? Der Film lässt die Möglichkeit eines Twelve-Temple-Films offen, zu dem es aber vermutlich nicht kommen wird. Zum Glück, wie ich sagen möchte.
Ich verstehe die Entscheidung, für den Film die Zahl der Hauptfiguren auf das absolute Minimum zu kürzen (es fehlen Shiryu, Hyoga und Shun, die eigentlich als Team mit Seiya kämpfen). Allerdings fehlen so die Interaktionen, die die Figuren im Original ausmachen. Gerade Shiryu ist als Gegenpol zu Seiya eigentlich für dessen Entwicklung notwendig. Was man im Film spürt. Seiya fehlt jede Erkenntnis. Um das auszugleichen wurde sein Charakter etwas mehr an Shiryu angeglichen, was ihn trockener und ruhiger als das Original macht. Hätte funktionieren können, wäre das Drehbuch besser.
Alles in Allem war der Film etwas besser, als ich erwartet hatte, aber nicht gut. Nicht annähernd. Er war okay, unterhaltsam, aber nicht gut. Und würde ich die Serie nicht kennen, wäre mein Urteil wahrscheinlich schlechter - weil ich ihn nicht verstehen würde. Ganz ehrlich, wer hat diesem Drehbuch sein OKAY gegeben? TOEI sollte darüber nachdenken, die Rechte an der Serie aufzugeben. Aber das sage ich seit der missratenen Adaption von Saintia Sho.
Was ich gerne hätte, wäre ein Reboot des Originals. Unter Federführung von MAPPA oder Madhouse oder M2. Aber TOEI wird die Rechte nicht aufgeben. Und so lange wird die Serie weiter mit mittelmäßigen Interationen auskommen müssen. Sollte jemand sich nach dem Film ernsthaft mit Saint Seiya beschäftigen wollen:
Besorgt euch den Anime (aber möglichst nicht in der US-Synchro), den Manga, eines der Playstation-Spiele (Soldier's Soul ist klasse. PC oder PS3) oder schaut euch die Animationsserie ab Staffel 2 an. Wichtig: Ab Staffel 2. Der Anfang ist noch schlechter als der Film...
In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal und frohes Schreiben SaSa
Sie war mit den beiden Hunden im Wald unterwegs. Es war später Oktober, die Bäume um sie herum verloren nach und nach ihr gelbes und rotes Laub, sodass der Weg knöchelhoch bedeckt war. Die Hunde tollten ausgelassen im knisternden Laub, sie lief gedankenverloren durch den Wald. Der Weg schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch, ein Specht klopfte nach den letzten Insekten. Irgendwo hörte sie ein großes Tier im Dickicht, alles war friedlich.
An einer Wegkreuzung begegnete ihr ein älterer Mann. Er hatte einen großen Jagdhund bei sich. Angespannt pfiff sie nach ihren Hunden. Beide kamen ihr schwanzwedelnd entgegen, sie leinte sie an und sah auf den Mann. "Rüde?"
"Kastriert", antwortete dieser lächelnd.
Sie ließ ihre Hunde wieder frei laufen. Die drei Tiere beschnupperten sich gegenseitig und tollten dann gemeinsam durch das Laub.
"Bin ich froh, er kann sonst nicht so toll mit Jagdhunden."
Der Mann nickte nur. Sie gingen schweigend gemeinsam weiter den Waldweg entlang. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte, obwohl sie jeden Tag im Wald war. An einen Mann mit Jagdhund hätte sie sich sicher erinnert.
"Sind Sie Jäger?", fragte sie schließlich.
Er schüttelte den Kopf: "Nein, ich wohne hier."
Sie schwieg. Der Weg stieg allmählich an, wand sich dann einen hohen Hügel hinauf. Sie versanken nun fast knietief im Laub. Wind zog auf.
"Es wird gleich regnen", warf sie ein und zog sich die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf. Der Mann deutete den Hügel hinab in den Wald hinein. "Ich wohne dahinten. Du kannst dich unterstellen, das wird ein schwerer Sturm werden."
Er sollte recht behalten, innerhalb von Minuten nahm der Wind an Stärke zu. Laub peitschte ihnen ins Gesicht, die Hunde hatten ihr Spiel eingestellt und trotteten nun mit hängenden Köpfen hinter den beiden Menschen her. Sie hatten den Gipfel des Hügels hinter sich gelassen und gingen nun den Weg hinab. Sie meinte, zwischen den Bäumen ein Gebäude zu erkennen. Schwer zu sehen, versteckt. Es donnerte. Als sie den Hügel zur Hälfte unten waren, begann es, zu regnen. Erst leicht, sacht, dann immer stärker, schließlich konnten sie kaum noch durch den Regen sehen. Er nahm ihren Arm. "Wir müssen hier rüber."
Sie senkte den Kopf und zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht. "Und die Hunde?"
"Können auch rein."
Sie sah sich um, der Jagdhund war verschwunden. Ihre beiden Hunde folgten ihnen weiterhin. Der Mann führte sie einige Meter in den Wald zu einer Tür, die in einen Felsen gebaut schien. "Sie leben in einem alten Bunker?"
Skeptisch beäugte sie die Tür. Der Mann nickte und öffnete, trat ein. Sie und ihre Hunde folgten. Das Innere des Bunkers war überraschend gemütlich. Er schien es ausgebaut, umgebaut zu haben. Der Gang erinnerte sie an den Flur im Haus ihrer Großeltern, schmal, dunkel, aber auf eine eigenartige Weise gemütlich. Er beherbergte einen langen, gelben Läufer, eine Garderobe und mehrere Türen in angrenzende Räume.
"Ich habe ihn nicht vollständig erschlossen, nur soweit ich brauchte. Die Hunde kannst du im Flur lassen."
Sie wollte nach dem Jagdhund fragen, doch die Frage erschien ihr mit einem Mal absurd. Der Mann ging den Flur entlang und trat durch eine Tür in eine Wohnküche. Auch diese sah aus wie die ihrer Großeltern. Eine alte Küchenzeile, ein billiger Elektroherd, ein altes Radio, eine Eckbank und ein alter Tisch. Der Raum war spärlich mit gelblichem Licht beleuchtet. Er deutete auf die Bank: "Setz dich!"
Während sie sich setzte, wandte er sich den Küchenschränken zu.
Hallo meine Mitgefangenen in der Welt der Buchstaben!
Es ist wieder ein Donnerstag und
damit Zeit für eine Top-Ten-Liste. Das Thema der Woche:
10 Bücher mit einem besonders gelungenen ersten Satz.
Zuerst wollte ich mich gar nicht an die Aufgabe setzen. Warum? Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich erste Sätze gut merken, oder ihnen eine größere Bedeutung beimessen. Ich mag letzte Sätze deutlich lieber. Erste Sätze lese ich, dann vergesse ich sie im allgemeinen Zusammenhang. Letzte Sätze bleiben hängen. Getreu dem Motto: Ich will nicht die erste Person sein, die du liebst. Ich will die letzte sein.
Aber da die Analyse erster Sätze eine großartige Schreibübung ist, habe ich doch einen Tag damit verbracht, meine Bücher - und meine Wunschliste - durchzusehen und erstaunlicherweise deutlich mehr als zehn gute erste Sätze gefunden. Allein bei den Klassikern in meinem Regal sind so viele schöne Anfänge dabei. Also habe ich - mit einer oder zwei Ausnahmen - das Los entscheiden lassen. Nein, nicht das Los. Ich habe versucht, eher unbekannte Bücher auszuwählen. Warum? Weil es keine Kunst ist, "Stolz und Vorurteil", "Moby Dick" oder "1984" zu nennen. Trotzdem sind große Namen reingerutscht, weil sie einfach gut sind. Also, hier ist meine Auswahl an guten ersten Sätzen. Und wer weiß, vielleicht liefere ich noch eine Top-Wievielauchimmer-Nach. Irgendwann, im Rahmen meiner sehr unregelmäßgen Schreibratgeber.
Und damit ihr alle mitreden könnt, werde ich dieses Mal natürlich zitieren. Worum es in dem Buch geht, ist in dem Fall ja egal ;-)
Zu deutsch: Ich wollte niemals jemandes Prophet sein. Ich habe länger daran überlegt, ob ich das Buch aufnehmen soll oder nicht - immerhin taucht es bei den roten Covern schon auf und wird vermutlich auch in die S-Titel rutschen. Aber der erste Satz ist zu gut, um ihn zu unterschlagen. In dem Fall war er sogar der Kaufgrund - etwas, das bei mir nur sehr selten passiert.
"Der 22. Oktober 1811 war ein ganz normaler Dienstag."
In dem Fall dieser wunderbar spannend und witzig geschriebenen Biografie eines viel zu wenig beachteten Komponisten - des ersten modernen Superstars - hätte ich auch den ersten Satz des Vorworts nehmen können.
"Liest man das Wort Superstar, denkt man vielleicht an die Beatles, die
Stones oder an moderne Popstars wie Michael Jackson oder Madonna."
Falls ihr normalerweise keine Biografien lest oder Liszt nicht kennt (er wird im Musikunterricht eher selten genannt), werft einen Blick in dieses Buch. Es ist eine spannende und schillernde Lebensgeschichte, die sich stellenweise wie die Zusammenfassung einer guten Soap liest. Hilmes schreibt hervorragend und Liszts Leben lässt die Rolling Stones blass aussehen.
"An dem Tag, an dem sie Santiago Nasar töten wollten, stand er um fünf Uhr dreißig morgens auf, um den Dampfer zu erwarten, mit dem der Bischof kam."
Ich gebe zu, ich habe ein Faible für erste Sätze, die mir Zeit und Datum nennen. Vielleicht, weil ich ein recht analytischer Mensch bin. Vielleicht, weil ich mit Forenrollenspielen aufgewachsen bin, die häufig in dieser Art anfangen. Aber die Schönheit in der verborgenen Tragik des Satzes ist göttlich. Márquez taucht nicht umsonst immer wieder in Listen der besten ersten Sätze auf, glaube ich.
"Die äußeren Formen, in denen das sogenannte glückliche Familienleben sich abzuspielen pflegt, sind überall die gleichen, das unglückliche dagegen verläuft in jedem einzelnen Falle auf eine besondere und einmalige Art."
Da ist er, einer der klassischen ersten Sätze, die ich vermeiden wollte. Aber ich kann mich nicht gegen einen guten ersten Satz wehren, oder? Der Anfang von Anna Karenina ist wie eine Zusammenfassung der Geschichte - ähnlich zu dem von "Stolz und Vorurteil" (ein Buch, dass ich nicht ausstehen kann. Steinigt mich, aber Jane Austen und ich passen kein Stück zusammen).
"Der erste Mittwoch jeden Monats war ein ganz fürchterlicher Tag - ein Tag, der mit Schrecken erwartet, mit Mut überstanden und mit Eile vergessen wurde."
Noch ein erster Satz, der mich mit dem Wochentag begrüßt, an dem der folgende Abschnitt stattfindet. Und noch ein erster Satz, der hervorragend die Stimmung transportiert.
"Wenn ihr das wirklich hören wollt, dann wollt ihr wahrscheinlich als Ersters wissen, wo ich geboren bin und wie meine miese Kindheit war und und was meine Eltern gemacht hatten und so, bevor sie mich kriegten, und den ganzen David-Copperfield-Mist, aber eigentlich ist mir gar nicht danach, wenn ihr's genau wissen wollt."
Wahrscheinlich der längste erste Satz, der es je auf eine Liste guter erster Sätze schafft. Noch ein Klassiker. Aber mal ehrlich, was würde Holden besser charakterisieren als das? Wem der Charakter hier schon zu viel ist, der wird keinen Spaß mit dem Buch haben.
"Man möchte meinen, er hätte seine Entscheidung etwas früher treffen und seine Umgebung netterweise auch davon in Kenntnis setzen können."
Noch ein erster Satz, der mich von dem Buch überzeugt hat. Und ich glaube noch ein Klassiker auf der Liste. Vielleicht sind doch mehr davon durchgerutscht, als ich dachte.
"Laura starrte wütend auf ihre antike Swatchuhr aus dem Jahre 1987."
Ich erinnere mich, dass ich den Satz damals großartig fand. Ich war Teeanger, es war um das Jahr 2000 und ich hatte eine Swatch. Als ich ihn für die Challenge wieder gelesen habe, fand ich ihn genauso großartig. Allerdings trifft er jetzt auch das Zeitgefühl besser. Immerhin leben wir jetzt näher an der Handlung des Buches (2033) als an Lauras Uhr. Übrigens hätte das Buch es auch auf die Re-Read-Liste schaffen können. Das ist nämlich der einzige Grund, warum ich es noch habe.
"Der Dezember stand vor der Tür und Jonas bekam es allmählich mit der Angst zu tun."
Das ist die zweite Schullektüre, die mich so fasziniert hat, dass ich mir das Buch kaufen musste. Und die zweite, die mit einem ersten Satz auf dieser Liste vertreten ist. Kann jemand die andere erraten? Das Buch habe ich anschließend sogar meiner Mutter aufgezwungen und jedem anderen Menschen, der mir begegnet ist und eine Buchempfehlung haben wollte. Und zusammen mit "Das Netz" und dem Adventure "Beneath a Steel Sky" ist "Hüter der Erinnerung" auch eine der Inspirationen hinter Zirkulum und Neshka.
Übrigens erinnert mich das Buch immer an ein Kinderbuch, das ich in der Grundschule gelesen habe. "Der Junge mit den zwei Augen". Kennt das irgendjemand?
Ein Buch von meinem Lesestapel. Ich habe es vor einiger Zeit von einer Freundin zum Geburtstag bekommen und seitdem wartet es darauf, endlich gelesen zu werden. Immerhin bin ich jetzt einen Satz weiter, vielleicht ist das ja der nötige Anfang?
Und weil ich so viele schöne erste Sätze nicht erwähnen konnte, kommen hier noch ein Bonus. Mein liebster erster Satz:
Peter S. Beagle: Das letzte Einhorn
"Das Einhorn lebte in einem Fliederwald, und es lebte ganz allein."
Und damit zu euch! Kennt
ihr eines der Bücher? Habt ihr es gelesen? Welche würdet ihr lesen
wollen? Antworten wie immer in den Kommentaren!
Er telefonierte hektisch mit der Polizei. Die junge Frau am anderen Ende versicherte ihm, sofort einen Streifenwagen vorbeizuschicken, er solle sich nur weiter in seiner Wohnung aufhalten. Er wartete, schließlich erschienen zwei Beamten an seiner Wohnungstür. Er öffnete ihnen, noch ehe sie klingeln konnten. Der Diensthöhere der beiden Männer stellte sich als Erwin Reuter vor und überfiel ihn noch an der Tür mit Fragen nach den toten Kindern, seinen Gewohnheiten und seinem Aufenthalt zur Tatzeit. Michael bat die Beamten herein, ehe er antwortete: »Ich bin mir nicht sicher. Da war dieser Traum, das Kind mit dem zertrümmerten Schädel und das ganze Blut in meinem Bett. Aber meine Tür war abgeschlossen, wie immer. Die Einbrüche in der Gegend, Sie verstehen?«
»Und wo genau waren Sie am Nachmittag, Herr Schneider?«
»Ich habe geschlafen, nehme ich an. Wissen Sie, ich schlafe, seit ich hergezogen bin, sehr schlecht. Da schläft man immer, wenn man müde ist.«
»Kennen Sie den Spielplatz?«
»Ich jogge jeden Tag im Wald, der liegt auf meiner üblichen Runde.«
Reuter machte sich einige Notizen, nickte und stand auf. Ehe er mit seinem Kollegen ging, legte er Michael ans Herz, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Schlafmangel konnte bekannterweise zu schlimmen Halluzinationen führen und er wollte sich nicht mit falschen Fährten aufhalten lassen. Immerhin ging es um eine Mordserie an kleinen Kindern.
Michael folgte dem Rat. Er glaubte selbst nicht daran, dass er die Tat begangen hatte, aber der Traum und das Blut. Er suchte Frau Doktor Kerstin Pohl, eine Psychotherapeutin mit Sitz im Nachbarort auf und erzählte ihr von seinen Lebensumständen. Seit einigen Wochen arbeitete er nun im Schichtdienst, etwa seit derselben Zeit schlief er schlecht und litt unter heftigen Albträumen, in denen er Kinder brutal ermordete. Außerdem verschlief er häufig den Beginn seiner Schichten, wenn er einmal schlief. Das Einzige, was er jeden Tag routiniert durchzog, war sein Sport.
»Es kann sein, dass Sie durch den Beginn des Schichtdienstes eine Schlafdysfunktion erlitten haben. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen im Schichtdienst sehr schlecht einschlafen, nur, um dann sehr fest zu schlafen. Allerdings glaube ich, dass Ihr Fall etwas anders gelagert ist. Gab es in Ihrer Familie bereits früher Probleme mit Schlafwandeln, nächtlichen Essattacken oder dergleichen?«
»Meine Schwester hat als Jugendliche schlafgewandelt. Ich auch, ein- oder zweimal, als ich gerade die Schule gewechselt hatte.«
»Hatten Sie Probleme in der Schule?«
»Ich wollte den Wechsel nicht, aber ich musste. Wir waren zuvor umgezogen. Außerdem gab es in der Schule einige Schlägertypen, die es auf mich abgesehen hatten. Ich konnte als Kind nicht besonders gut mit Gleichaltrigen umgehen.«
Kerstin nickte, entschuldigte sich und verschwand einen Moment im Nebenzimmer. Sie kehrte nach einigen Minuten zurück. »Gab es in letzter Zeit außer Ihrem Umzug und der neuen Arbeit noch Stressfaktoren in Ihrem Leben?«
»Nein. Warten Sie, doch. Ich lebe jetzt seit etwa fünf Wochen hier. Das andere liegt schon etwas zurück, vier Monate. Nein, fünf. Ich hatte eine Freundin und wir erwarteten ein Kind. Aber sie hatte eine Fehlgeburt. Sie hat es nicht verkraftet.«
»Ich verstehe.« Sie sah auf die Uhr. »Unsere Zeit für heute ist um, Herr Schneider. Ich möchte nächste Woche etwas mehr auf Ihre Jugendprobleme eingehen, wenn Ihnen das recht ist?«
Michael nickte, verabschiedete sich und ging nach Hause. Er schaltete den Fernseher ein und sah sich eine Weile das Kinderprogramm an. Es war kein Wunder, dass die heutigen Kinder allesamt so unmöglich waren. Diese vollkommene Reizüberflutung aus allen Kanälen musste ja Folgen haben. Er schaltete das Gerät nach einer halben Stunde wieder ab und legte sich ins Bett. Sicher hatte Frau Doktor Pohl recht und er litt nur unter dem momentanen Stress. Sobald er sich in die neue Situation eingefunden hatte, würde es nachlassen. Er hatte bestimmt keine Kinder getötet, wieso sollte er auch?
Er verarbeitete nur die schrecklichen Nachrichten in seinen Albträumen. Genau so musste es sein. Michael wachte am nächsten Morgen auf, weil jemand hektisch an der Tür klingelte und klopfte. Er sah auf seine Armbanduhr, bemerkte, dass er sie nicht trug, stand auf und öffnete die Tür. Reuter stand mit seinem Kollegen davor. »Wir müssen Ihre Wohnung durchsuchen. Diese Uhr gehört Ihnen, nehme ich an?«
Er hielt Michael die goldene Uhr vor die Nase, die er einmal von seiner Freundin zu Weihnachten bekommen hatte und die seinen Namen ins Uhrband eingraviert trug. Er nickte mechanisch und ließ die Polizisten eintreten.
Reuters Kollege durchsuchte die Zimmer gründlich, während Reuter selbst bei Michael blieb. »Heute Abend wäre beinahe noch ein Kind ermordet worden. Zum Glück konnte ein Passant den Täter vertreiben. Anschließend hat dieser aufmerksame Bürger die Uhr am Tatort gefunden.«
»Herr Reuter!« Der Kollege kam zurück und reichte seinem Vorgesetzten eine blutbeschmierte Beißzange. »Die lag in seinem Kleiderschrank.«
»Ich hätte Ihnen Glauben schenken sollen, Herr Schneider. Dann wäre diesem armen Kind heute viel erspart geblieben. Wenigstens ist nichts weiter passiert.« Er sah zu seinem Kollegen. »Sehen Sie sich um, ob Sie noch mehr Beweise finden.«
»Sind Sie nur wegen der Uhr auf mich gekommen?«
»Nein, jemand hat uns einen Verdacht mitgeteilt. Sie sind Schlafwandler?« Michael nickte, Reuter ebenfalls. »Und dann sind da Ihre Probleme mit Kindern. Das sind keine Beweise, sicher, aber zusammen mit Ihrer Selbstanzeige und dieser Zange passt das alles gut ins Bild. Und dann war da Ihre Uhr am Tatort. Nicht auf dem Weg, auf dem Spielplatz.«
»Ich verstehe. Ich bin froh, dass es vorbei ist, glauben Sie mir.«
»Herr Schneider, ich werde Sie nun festnehmen wegen des Verdachts auf die Kindsmorde auf dem Spielplatz.«
Michael wehrte sich nicht, als der Beamte ihm Handschellen anlegte und ihn zum Streifenwagen führte. Auf dem Weg sah er gen Himmel und seufzte.