14 Mai 2023

Herbst (Flashfiction)

 Sie war mit den beiden Hunden im Wald unterwegs. Es war später Oktober, die Bäume um sie herum verloren nach und nach ihr gelbes und rotes Laub, sodass der Weg knöchelhoch bedeckt war. Die Hunde tollten ausgelassen im knisternden Laub, sie lief gedankenverloren durch den Wald. Der Weg schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch, ein Specht klopfte nach den letzten Insekten. Irgendwo hörte sie ein großes Tier im Dickicht, alles war friedlich. 


An einer Wegkreuzung begegnete ihr ein älterer Mann. Er hatte einen großen Jagdhund bei sich. Angespannt pfiff sie nach ihren Hunden. Beide kamen ihr schwanzwedelnd entgegen, sie leinte sie an und sah auf den Mann. "Rüde?"


"Kastriert", antwortete dieser lächelnd.


Sie ließ ihre Hunde wieder frei laufen. Die drei Tiere beschnupperten sich gegenseitig und tollten dann gemeinsam durch das Laub.


"Bin ich froh, er kann sonst nicht so toll mit Jagdhunden."


Der Mann nickte nur. Sie gingen schweigend gemeinsam weiter den Waldweg entlang. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte, obwohl sie jeden Tag im Wald war. An einen Mann mit Jagdhund hätte sie sich sicher erinnert.


"Sind Sie Jäger?", fragte sie schließlich.


Er schüttelte den Kopf: "Nein, ich wohne hier."


Sie schwieg. Der Weg stieg allmählich an, wand sich dann einen hohen Hügel hinauf. Sie versanken nun fast knietief im Laub. Wind zog auf.


"Es wird gleich regnen", warf sie ein und zog sich die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf. Der Mann deutete den Hügel hinab in den Wald hinein. "Ich wohne dahinten. Du kannst dich unterstellen, das wird ein schwerer Sturm werden."


Er sollte recht behalten, innerhalb von Minuten nahm der Wind an Stärke zu. Laub peitschte ihnen ins Gesicht, die Hunde hatten ihr Spiel eingestellt und trotteten nun mit hängenden Köpfen hinter den beiden Menschen her. Sie hatten den Gipfel des Hügels hinter sich gelassen und gingen nun den Weg hinab. Sie meinte, zwischen den Bäumen ein Gebäude zu erkennen. Schwer zu sehen, versteckt. Es donnerte. Als sie den Hügel zur Hälfte unten waren, begann es, zu regnen. Erst leicht, sacht, dann immer stärker, schließlich konnten sie kaum noch durch den Regen sehen. Er nahm ihren Arm. "Wir müssen hier rüber."


Sie senkte den Kopf und zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht. "Und die Hunde?"


"Können auch rein."


Sie sah sich um, der Jagdhund war verschwunden. Ihre beiden Hunde folgten ihnen weiterhin. Der Mann führte sie einige Meter in den Wald zu einer Tür, die in einen Felsen gebaut schien.
"Sie leben in einem alten Bunker?"


Skeptisch beäugte sie die Tür. Der Mann nickte und öffnete, trat ein. Sie und ihre Hunde folgten. Das Innere des Bunkers war überraschend gemütlich. Er schien es ausgebaut, umgebaut zu haben. Der Gang erinnerte sie an den Flur im Haus ihrer Großeltern, schmal, dunkel, aber auf eine eigenartige Weise gemütlich. Er beherbergte einen langen, gelben Läufer, eine Garderobe und mehrere Türen in angrenzende Räume.


"Ich habe ihn nicht vollständig erschlossen, nur soweit ich brauchte. Die Hunde kannst du im Flur lassen."


Sie wollte nach dem Jagdhund fragen, doch die Frage erschien ihr mit einem Mal absurd. Der Mann ging den Flur entlang und trat durch eine Tür in eine Wohnküche. Auch diese sah aus wie die ihrer Großeltern. Eine alte Küchenzeile, ein billiger Elektroherd, ein altes Radio, eine Eckbank und ein alter Tisch. Der Raum war spärlich mit gelblichem Licht beleuchtet. Er deutete auf die Bank:
"Setz dich!"


Während sie sich setzte, wandte er sich den Küchenschränken zu.

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