29 März 2023

Stielauge, der Urkrebs - Mutter der Xenofiction

Batty Dohm: Stielauge, der Urkrebs
Ich dachte, es wird langsam Zeit für eine zweite Ausgabe. Mir ist vor einiger Zeit die "Mutter" der Xenofiction begegnet – zumindest, wenn man tvtropes.org glauben darf. Und da mich Erstlinge eines Genres immer reizen, habe ich verschiedene Antiquariate abgeklappert (online, wir haben in der Gegend nur eins) und tatsächlich diese Ausgabe der zweiten Auflage von 19irgendwasundvierzig gefunden. Was soll ich sagen. Ich glaube, wenn der Autor nicht einen bekannten Namen als Geologe und tatkräftiges Mitglied seiner Heimatstadt gehabt hätte, hätte das Buch wohl nicht bis heute überlebt. Es gab sogar eine dritte Auflage in den Neunzigern, anlässlich seines Todes. Von der konnte ich allerdings keine Ausgabe finden. Im Gegensatz zur ersten Auflage von 1939.

Es geht um das Leben eines Trilobiten im devonischen Meer, das ganze ist allerdings eher eine Reihe loser Ereignisse, die jedem zeitlichen Ablauf zu widersprechen scheinen. Darüber hinaus ist es stellenweise verwirrend, von den verschiedenen Arten in einer Art Spitzname zu lesen. Es wirkt, als seien alle Individuuen einer Art eine Person, was teilweise der Darstellung im Text widerspricht. Trotzdem sind Stielauges teils unrealistische Abenteuer unterhaltsam.
Nicht unterhaltsam sind die Zwischenkapitel, in denen Dohm klar zu erkennen gibt, dass er kein Anhänger Wegeners ist und Plattentektonik für Schwachsinn hält - ok, war die Zeit. Warum er dann allerdings seitenweise seltsame Mischungen aus der von ihm bevorzugten Flut-Theorie und der Bibel schreibt, die nichts mit der Handlung zu tun haben, geht allerdings an meinem Verständnis vorbei. Durch die Einwürfe liest sich das ansonsten ganz nette Buch leider sehr stockend. Fraktur und die Sprache der 1930er helfen dabei auch nicht unbedingt.

Ganz witzig fand ich die Einschübe, in denen der Autor darauf eingeht, dass Trilobiten kein Gehirn haben und daher alle Selbstreflexion Stielauges streng genommen nur die Interpretation des Autors ist. Auch die Illustrationen sind sehr schön, wenn auch bedingt durch das Alter in sehr wechselhafter Qualität.

Fazit: Nettes Kuriosum und sicher von historischem Wert. Als Lektüre taugt es heute leider nur noch begrenzt. Das Buch eignet sich aber sehr für Freunde von Paläo-Art, die Darstellungen der Trilobiten sind sehr gelungen.

28 März 2023

Maunz (Flashficiton)

Image by Nikolay Georgiev from Pixabay
 

Sie wollte nur schnell zur Toilette, ehe die Vorlesung begann. Als sie zurückkehrte, ereignete sich jedoch Unglaubliches. Sie ging den Gang entlang, der hinter der Garderobe zum Hörsaal führte, bog um die Ecke und sah den Professor auf den Hörsaal zugehen. Ein kleiner Mann in den Fünfzigern, schütteres, graues Haar. Gekleidet mit demselben alten Anzug, in welchem man ihn immer antraf. Sie beeilte sich, zu den Anderen zu gelangen, um einen guten Platz zu erhalten, doch als sie die Türen des Hörsaals sah, war der Professor verschwunden. Der Gruppe Studenten, die auf Zugang in den Hörsaal warteten, schien dies nicht aufgefallen zu sein. Vier Männer näherten sich, alle bewaffnet mit futuristischen Pistolen. Sie war noch zu weit weg, um zu verstehen, was die Männer sagten, doch sie sah an den Gesichtern der Studenten, dass sie nicht freundlich gesonnen waren. Ihre Freundin winkte ihr zu und versuchte, sie wild gestikulierend dazu zu bringen, sich zu verstecken.


Die junge Frau, die die Szene wie versteinert beobachtet hatte, rührte sich nicht. Die Gesten ihrer Freundin machten die Männer erst auf sie aufmerksam. Einer der Vier gab seinen Kameraden ein Zeichen, dass er sich darum kümmern würde. Er hob demonstrativ die Pistole und ging auf sie zu. Noch immer war sie nicht in der Lage, sich zu bewegen. Ihre Gedanken kreisten um die Suche nach einem Fluchtweg. Was auch immer diese Männer vorhatten, sie würden wohl kaum eine Wahnsinnige bei sich behalten. Vielleicht war Wahnsinn ihre Chance. Noch ehe der Mann sie erreicht hatte, ließ sie sich auf alle Viere fallen, legte den Kopf schief und miaute dem Fremden entgegen. Dieser war für einen Moment verwirrt. Er ließ die Pistole sinken und sah fragend zu seinen Kameraden zurück. Einer von ihnen nickte ungehalten. Der Fremde, der bei der jungen Frau stand, packte diese daraufhin am Arm und zog sie auf die Beine. Danach stieß er sie unsanft zu der Gruppe Studenten. Die Frau miaute noch immer, in der Hoffnung, man würde sie gehen lassen, wenn sie Wahnsinn vortäuschte. Ihre Freundin sah sie unverständlich an, doch sich zu erklären, würde die junge Frau auffliegen lassen. Also schwieg sie.


Die Fremden brachten die Studenten in den Hörsaal. Statt Sitzen mit aufklappbaren Tischen befanden sich jedoch einfache Tische mit Stahlstühlen in dem Raum, angeordnet auf breiten Treppenstufen. Auf jedem der Tische, die sich aufsteigend im Halbkreis um ein Rednerpult und eine Projektortafel gruppierten, befanden sich zwei tragbare Computer. Die Fremden bugsierten die Studenten an die Tische, sodass jeder der jungen Menschen einen Laptop vor sich stehen hatte. Sie nötigten die Studenten dazu, die Computerbildschirme aufzuklappen und an den ausgeschalteten Rechnern zu arbeiten. Die junge Frau stieß mehrfach mit der Nase gegen den Laptop, schlug mit der flachen Hand auf das Gehäuse und gab Geräusche einer unzufriedenen Katze von sich. Sichtlich genervt trat einer der Männer zu ihr hin, öffnete den Rechner und deutete ungehalten auf den Bildschirm. Die junge Frau sah ihn verständnislos an und miaute. Der Fremde hob drohend die Pistole. Sie schlug unkoordiniert mit der Hand auf die Tastatur. Der Fremde wirkte zufrieden.


Nach einer Weile lehnte sie sich auf dem Stuhl zurück und starrte auf den schwarzen Bildschirm des stromlosen Gerätes. Sie fragte sich, warum man die Studenten dazu zwang, sinnlose Dinge an einem ausgeschalteten Computer zu tun. Doch ehe sie zu einer Antwort gelangt war, spürte sie, wie einer der Männer ihr die Pistole in die Rippen presste.


Sie maunzte.


21 März 2023

Königin der Nacht (Flashfiction; Fantasy; Romantik)

Image by David Mark from Pixabay
 

 Sie hatte die Gruppe aus den Augen verloren und irrte nun allein in dem großen Park herum. Sie hatte es ja von Anfang an für eine miserable Idee gehalten, mit all diesen Jugendlichen in einen Freizeitpark zu fahren, als einzige Erwachsene. Aber auf anderem Wege hätte sie diesen Park vermutlich nie besuchen können und diese neue Achterbahn nicht ausprobieren können. Sie war kein Achterbahnjunkie, keiner dieser Irren, die ihr Leben damit verbrachten, zu vergleichen, wie oft sie mit welcher Bahn gefahren waren. Aber sie mochte Achterbahnen und wollte so viele davon fahren, wie nur irgend möglich. Doch nun hatte sie die Kleingruppe, mit der sie unterwegs war, aus den Augen verloren. Nachdem sie zuvor noch an dem kleinen See standen, wo man Tretboot fahren konnte und es diese neuen, modernen Attraktionen mit den Schiffen und den Wasserkanonen gab. Sie erinnerte sich noch an den schwarzen Parkmitarbeiter, mit dem sie sich kurz unterhalten hatte und an den echten Kaiman, der einem ihrer jugendlichen Begleiter einen ordentlichen Schrecken eingejagt hatte. Dann war sie allein in dieser Halle.


Es war eine einfache Halle. In anderen Parks waren darin In-Door-Achterbahnen oder Flugsimulatoren untergebracht. Sie kannte auch Parks, wo man ganze Themenbereiche in solche Hallen packte. Doch diese Halle hier war leer, vom hügeligen Kunstrasen und den Tageslichtlampen in der Decke abgesehen. Vermutlich entstand hier gerade erst eine Bahn, aber wie konnte sie dann überhaupt die Halle betreten? Sie sah sich um. Keine offene Hallentür, keine Arbeiter, nichts. Einen Moment zweifelte sie daran, ob sie wach war. Dann hörte sie ein Geräusch hinter der Wand zu ihrer Linken.


"Hallo?"


Sie trat näher an die Wand, bekam jedoch keine Antwort. Sie legte den Kopf schief, pochte gegen die Wand.


"Hallo?"


Immer noch keine Antwort. Nichts. Kein Ton. Wieder pochte sie an die Wand und diesmal fiel ihr auf, dass das entstehende Geräusch hohl klang. War hinter der Wand ein weiterer Raum versteckt? Es war sicher nicht unüblich, ein Technikraum oder dergleichen so zu verstecken. Sie betrachtete die Wand, tastete sie ab und fand tatsächlich eine schmale Tür. Sie öffnete sie und war erstaunt. Vor ihr erstreckte sich ein weiterer Raum, ebenso groß wie der Vorhergehende. Irritiert blieb sie in der Tür stehen und blickte zwischen den Räumen herum. Wieder das Geräusch. Sie trat vollkommen in den neuen Raum ein und schloss die Tür hinter sich. Hügeliger Kunstrasen, Tageslichtlampen. Eine kleine Holzhütte an einem Ende, auf einem der Hügel standen ein Tisch, zwei Stühle, ein Podest und darauf zwei Sessel mit Samtpolstern. Throne? Sicherlich die Ausstattung für die Szeneriebahn, die hier entstand. 


Sie trat näher auf die Gegenstände zu. Erst jetzt bemerkte sie die detailreichen Puppen, die auf einem der Sessel und den Stühlen saßen und sich zu unterhalten schienen. Ihre Lippen bewegten sich, doch sie konnte keinen Ton hören. War das ein Testlauf? Sie hatte noch nie so lebendige, mechanische Puppen gesehen. Sie waren blass wie Tote, mit tiefen, völlig schwarzen Augen. Sie trugen altertümliche Frisuren und Kleidung. Zwei sahen aus wie Bauern oder Landarbeiter. Vielleicht achtzehntes Jahrhundert. Sie trat noch näher. Die dritte Puppe war prunkvoller gekleidet, trug glänzende Stiefel, eine Hose aus Leder, ein Samthemd und einen Mantel, der mit Kunstpelz besetzt war. Ihr fehlte nur noch die Krone, um das Aussehen eines dämonischen Prinzen oder etwas ähnlichem zu komplettieren.
Sie betrachtete die Puppe eingehend und fragte sich, was für ein Thema diese Bahn wohl haben mochte. Sie war so in ihre Überlegung vertieft, dass sie nicht bemerkte, wie die beiden ärmlicheren Figuren aufstanden und näher kamen. Erst, als sich der Prinz auch erhob, taumelte sie erschrocken zurück.
"Wir haben dich erwartet", sprach die Prinzenpuppe mit klarer, männlicher Stimme. 


Sie schnappte nach Atem, als die beiden Bauernpuppen ihre Arme griffen und festhielten. Ihr erschrockener Blick musste ihre Gedanken preisgegeben haben, denn die Prinzenpuppe lächelte amüsiert.


"Oh, du dachtest, wir seien nicht echt? Puppen vielleicht? Mechanische Figuren, wie draußen im Park?"


Er lachte.


"Du irrst. Wir sind, was du schon immer gesucht hast. Ich bin der, nachdem du dich dein Leben lang sehntest ..."


Er trat näher auf sie zu, schloss sie sanft in seine Arme. Die beiden anderen Figuren ließen sie gehen. Sie ließ alles geschehen. Sein Kopf beugte sich zu ihrem, er sog den Duft ihres Haares ein, rieb seine Wange an der ihren. Sie spürte, wie ein tiefes, unstillbares Verlangen sie erfüllte. Sie lehnte ihre Schläfe gegen seine Schulter, gab ihren Nacken frei. Mit einem Mal wusste sie, wer er war. Er war keine Puppe, nein, sicher nicht. Dennoch hätte sie sich niemals auch nur träumen lassen, ihm zu begegnen. Sie erwartete ihn. Er senkte seinen Kopf zu ihrem Nacken.


"Sei meine Königin!"


Er hauchte die Worte ihn ihr Ohr und noch ehe sie antworten konnte, spürte sie den erlösenden Schmerz.


14 März 2023

Velosiped

by pixaby
 

 Sie wusste nicht, wie lange sie schon unterwegs war. Vor einer Ewigkeit, wie ihr schien, war sie mit dem Fahrrad auf den Standstreifen der Autobahn aufgefahren und radelte nun mit voller Kraft neben den LKWs her. Niemand schien das Mädchen auf dem Rad zu bemerken. Die Autobahn führte immer geradeaus, zum Horizont und immer, wenn sie glaubte, den Horizont erreicht zu haben, wuchs ein neues Stück Asphalt in den Himmel. Um sie herum gab es nichts, es schien, als existiere keine Welt jenseits dieser Autobahn. Keine Straßenschilder, keine Notrufsäulen. Nur Asphalt, Lastwagen und ein Mädchen auf einem Fahrrad. Sie erreichte einen Abschnitt der Autobahn, der mit Kies bedeckt war. Weiße Kieselsteine auf dem Standstreifen, Schotter auf der Fahrbahn. Das Rad schlingerte, sie hatte Mühe, es unter Kontrolle zu halten. Endlich fand das Mädchen eine Abfahrt. Sie bog ab, ließ das Rad bis auf die Landstraße rollen. Hier war niemand mehr. Keine LKWs, keine Autos, keine Menschen. Doch die Welt schien zurückgekehrt. Um sie herum wuchs Gras, es erhob sich ein Wäldchen mit Nadelbäumen. Sie passierte einen Holzeinschlag, hier ragte ein alter Baum zwischen den Stümpfen empor. Sie blieb stehen und betrachtete das bizarre Bild.


Der Baum war verkrüppelt, verzerrt, nur eine Ahnung einer Pflanze. Seine Borke war, wo sie vorhanden war, weiß, doch sein Stamm verriet, dass es sich um einen Obstbaum handeln musste. Vielleicht ein toter Apfelbaum. Sie hatte sich schon immer über die knorrige Wuchsform dieser Bäume amüsiert, doch dieser hier schien ihr irgendwie unwirklich, unheimlich. Sie riss sich von dem Bild los und folgte weiter der Straße. Mit einem Mal wusste sie, warum sie unterwegs war. Sie suchte etwas, einen längst vergessenen Ort. Zu ihrer Rechten tat sich eine Lichtung auf. Sie hatte das Gefühl, einmal hier gewesen zu sein. Doch sie wusste nicht mehr, ob es in einem Traum oder in Wahrheit gewesen war. Sie erinnerte sich an irgendetwas auf dieser Lichtung. Doch sie hielt nicht an, diesen Ort suchte sie nicht. Stattdessen fuhr sie weiter. Immer der Straße folgend.


Es dämmerte langsam und sie bemerkte, dass sie gen Westen fuhr. Vor ihr entflammten nach und nach die Wolken am Horizont in glühendem Rot, sie fuhr genau auf die untergehende Sonne zu, die sich wie eine riesige, glühende Scheibe der Erde zu neigte. Nun sah sie es, das Haus, der Ort, den sie gesucht hatte. Hier würde sie für die Nacht unterkommen. Und sie würde ihren Eltern Bescheid geben, dass sie hier war und sie bitten, sie abzuholen. Als das Mädchen das Haus erreicht hatte, stellte sie das Fahrrad auf der Veranda ab und zog ihr Handy hervor. Sie schrieb eine kurze SMS mit ihrem Aufenthaltsort und der Wegbeschreibung an ihre Mutter. Als Erläuterung fügte sie eine Skizze des unheimlichen Baumes bei, dann trat sie ein. Die Haustür stand weit offen und die Hausherrin kam ihr mit strahlendem Lächeln entgegen. Sie nahm das Mädchen an der Schulter und führte es ins Kinderzimmer. Dort tobten drei Kinder auf den Betten. Irgendetwas erschien dem Mädchen seltsam. Sie sah, dass die Kinder die Münder bewegten, schrien und lachten, doch sie hörte keinen Ton. Es war völlig still. Sie sah zu der Mutter, diese deutete auf das Bett und ihre Lippen formten das Wort "spat". Sie kannte die Sprache nicht, die die Frau sprach, doch sie verstand den Sinn des Wortes. Mit ungutem Gefühl schob sie die Kinder vom Bett, um sich hinzulegen.


Am nächsten Morgen erwachte sie, von den Kindern angestarrt.

"Wo sind eure Eltern?"


Die Kinder schienen sie nicht zu verstehen, wandten sich ab und verließen das Zimmer. Das Mädchen stand auf. Ihr Blick fiel aus dem Fenster, vor dem Haus waren Tische aufgebaut, es schien eine Feierlichkeit anzustehen. Eilig verließ auch sie das Zimmer und begann, nach der Mutter zu suchen. Sie wollte sich bedanken, doch mit einem Mal war sie allein in dem Haus. Irritiert betrat sie die Veranda und nahm ihr Fahrrad. Ihre Eltern hatten sich noch nicht gemeldet und sie beschloss, zurückzufahren. Als sie auf das Rad stieg, spürte sie eine Hand auf der Schulter. Sie sah sich um, vor ihr stand ein stämmiger Mann mit schwarzem Haar, wohl der Hausherr. Er schüttelte den Kopf.


"Du kannst nicht mehr gehen. Du hast den Baum gesehen. Wer immer den Baum sieht, kann nicht mehr gehen."


Sie schauderte. Weniger über die Worte des Mannes, als über die Tatsache, dass sie ihn verstand. Sie wusste, dass sie ihn nicht verstehen konnte. Sie sprach seine Sprache nicht, sie kannte sie nicht einmal. Und er sprach ihre Sprache nicht, sie sah es an seinen Lippen. Doch sie verstand ihn. Und sie fügte sich, stellte das Rad zurück und ging in den Garten. Langsam trafen die Partygäste ein. Auch die Kinder und die Mutter waren wieder hier. Sie setzte sich an einen der Tische und sah sich um. Eine tiefe Fröhlichkeit erfasste sie, sie war glücklich. Ein weiteres Mädchen ging vorbei, sie hatte einen alten Hund bei sich. Sie erkannte den Hund und das Mädchen. Sie stand auf und winkte, doch weder das Mädchen noch der Hund sahen sie an. Sie trat näher, war sie doch mit dem Mädchen gut befreundet. Der Hund knurrte, ohne sie anzusehen.

07 März 2023

Eidcafé

 
 Es begann, in Strömen zu regnen. Die beiden Streifenpolizisten gingen eilig dicht an der Häuserfront entlang. Streife in dieser Fußgängerzone war eine Art Strafdienst, zumindest wurde er von den Polizisten als solcher empfunden. Hier war nichts los, es geschah niemals etwas. Strafdienst oder Schikane, um neue Polizisten im Revier zu ärgern. Nur, dass sich diese beiden Polizisten weder etwas hatten zu Schulden kommen lassen, noch waren sie neu im Revier. Sie waren einfach nur hier, an einem Spätsommerabend, gegen neun Uhr, in strömendem Regen. In einer langweiligen, nassen, dunklen Fußgängerzone. Allein. Es waren schon seid einiger Zeit keine Passanten mehr hier. Die Geschäfte hatten zu und das Wetter eignete sich nicht, in Straßencafés, Biergärten und dergleichen zu sitzen. Immer wieder gab es unvermittelte Schauer, der Wetterbericht hatte auch von Gewittern gesprochen. Der größere der Polizisten, ein junger Mann mit dunkelblonden Locken, blieb vor einem Schaufenster mit Elektrogeräten stehen und betrachtete einen Fernseher:


"Das ist das Modell. He, hörst du mir überhaupt zu?"


Sein Kollege mit dem längeren, braunen Haar, war einige Meter weitergegangen, um unter einer Markise eines Eiscafés Schutz vor dem Regen zu suchen. Er grinste seinem Kollegen zu, der mürrisch näher kam.


"Hättest ja wenigstens was sagen können ..."


Trotz des Regens war es noch immer warm. Am Tag zuvor hatten fast vierzig Grad geherrscht und es kühlte kaum ab. Vielleicht war es das Pflaster, dass die Wärme speicherte und nachts wieder abgab. Der kleinere Polizist wischte sich über die Stirn und deutete dann mit dem Daumen auf das Eiscafé.


"Reg dich ab. Ich weiß doch, dass du dir nen neuen Fernseher holen willst. Eis?"


Sein Kollege legte den Kopf schief, betrachtete den Laden und nickte.


"Wieso nicht. Ist sowieso nichts los."
Die beiden jungen Männer betraten das Café und begutachteten die Kühltruhe mit den verschiedenen Eissorten. Es gab alle üblichen Sorten und einige Exoten, darunter auch Pistazien- oder Mandeleis. Eine Verkäuferin trat auf die Polizisten zu.


"Kann ich Ihnen helfen?"


Ihre Stimme klang etwas nervös, offenbar schüchterten sie die Uniformen ein. Der Blonde schüttelte den Kopf.


"Wir schauen noch."


Die Verkäuferin seufzte erleichtert und wandte sich ab.


"Rufen Sie, wenn Sie gewählt haben."
Mit diesen Worten verschwand sie wieder hinter einer Tür, die aus dem Verkaufsraum führte. Der Blonde sah seinen Kollegen an.


"Weißt du, was du willst?"


"Hm", machte dieser und zuckte mit den Schultern. "Das Übliche, glaube ich. Apfel und Schokolade."


"Langweiler", der Blonde lachte und deutete auf das Mandeleis. "Ich werde heute mal etwas Neues probieren. Mandel mit Traube."


Sein Kollege zog misstrauisch die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Er hob die Hand und schickte sich an, nach der Verkäuferin zu rufen, als sein Blick auf den Blonden fiel. Dieser war gerade dabei, die Klapptür des Tresens zu öffnen und hinter die Truhe zu treten. In diesem Moment kam die Frau aus dem Nebenraum und sah den Polizisten empört an.


"Entschuldigen Sie! Sie können doch nicht einfach ..."


"Doch doch", der Polizist winkte ab: "Wir sind Polizisten, wir dürfen das."


Er nahm sich den Portionierer und grinste seinen Kollegen an.


"Becher oder Waffel?"


Dieser seufzte und deutete auf die Waffeln. Der größere Polizist füllte die Waffeln mit den gewünschten Eissorten, reichte eine über die Glasscheibe und trat mit seiner Waffel wieder nach draußen. Er verließ den Verkaufsraum und wartete unter der Markise. Sein Kollege blieb zurück, zusammen mit der verdutzen Verkäuferin.