25 Juni 2023

Scheckkartenspuckender Snackautomat

 Es war ein gewöhnlicher Donnerstagvormittag, so gegen elf Uhr, ich stand am Frankfurter Hauptbahnhof und wartete auf eine U-Bahn zum Willy-Brand-Platz.


Ich war froh, in der urinverseuchten U-Bahn-Station zu sein. Draußen war es kalt und selbst auf den oberirdischen Bahnsteigen noch windig, doch hier in der Station staute sich die Luft, was eine gemütliche Wärme mit sich brachte. Mein Blick fiel auf die Anzeigetafeln für die U-Bahn-Linien. U5 in vier Minuten. Ich trottete zu den Rolltreppen, die unter der Station hindurch zu den S-Bahnen führen, um mir die polierten Kalksteine anzusehen, mit denen die Wände dort verkleidet sind. Auf einer der Platten sind eindeutig Fossilien zu sehen; mehrere, auch sehr große Gehäuse irgendwelcher Tiere, aber außer einer winzigen Schnecke kann ich keine der Formen irgendeinem Wesen zuordnen. Sie sehen aus wie riesige Pantoffeltierchen.


Auf dem Weg zu den Kalksteinplatten kommt man an einem der Snackautomaten vorbei, die die Verkehrsbetriebe auf den großen Bahnhöfen aufstellen. Diese unseligen Dinger, in denen wenigstens fünfzig Prozent der Waren bezahlt im Gehäuse hängen bleiben. Ich hatte schon mal Ärger mit der Bahnhofspolizei, weil ich einen der Automaten deshalb geschüttelt hatte.


Als ich an dem Gerät vorbeiging, hörte ich ein leises Klacken, wie wenn ein Stück Pappe auf den Fußboden fällt. Ich sah mich um. Der Automat hatte eine kleine, blaue Scheckkarte ausgespuckt, die jetzt vielleicht einen Schritt von dem Gerät entfernt am Boden der U-Bahn-Station lag. Ich blieb stehen und sah abwechselnd zwischen der Karte und dem Automaten hin und her. Ein Besitzer der Karte war unter den Fahrgästen auf dem Bahnsteig nicht auszumachen. Was tut man in so einem Fall? Die Karte ignorieren, so tun, als hätte man nichts gesehen? Das hier war ein Bahnhof, wer wusste, in welche Hände die Karte dann gelangen würde? Die Polizei rufen? Wegen einer herrenlosen Scheckkarte, die aus einem Automaten gespuckt wurde? Das Fundbüro? Mein Blick begegnete dem einer Frau in den Vierzigern, die das Ganze ebenfalls gesehen hatte.


»Die kam gerade aus dem Automat«, murmelte die Frau.


»Mmhm.« Ich ging auf die Karte zu.


»Aber hier ist niemand ...«


Ich bückte mich nach der Karte und hob sie auf. Es handelte sich nicht um eine Bank- oder Scheckkarte, sondern um eine Art Ausweis. Die Frau kam auf mich zu und sah mir über die Schulter. »Was ist das?«


Ich drehte das blassblaue Stück Plastik zwischen den Händen herum. Sie zeigte das Logo der Firma Opel, dazu die Aufschrift »Der Opel-Vertragshändler Ihres Vertrauens« und einige Daten, darunter den Namen des Vertreters, zu dem die Karte vermutlich gehörte. Ich wollte der Frau meinen Entschluss mitteilen, die Karte zum Fundbüro zu bringen, als sich ein junges Pärchen in das Gespräch einmischte. Die beiden hatten die ganze Zeit über in der Nähe der Infosäule gestanden. Sie hatte langes, strähniges, schwarzes Haar und überaus fettige Haut. Ihre Kleidung war ungewaschen. Er hatte blonde Locken, trug eine zerrissene Jeans und ein ausgewaschenes Hemd. In den Händen hielt jeder von ihnen eine Bierflasche. Er kam einen Schritt auf uns zu und wedelte mit der freien Hand, dabei rief er: »Ey! Die is uns!«


Die Frau und ich sahen uns an. Sie hatte eine Augenbraue gehoben und ihre Lippen zusammengepresst. Sie antwortete: »Wie, die Karte gehört Ihnen?«


»Ja. Die is uns«, begann der Obdachlose zu erklären: »Die ha’m wir da oben von so’nem Typen gekriegt. Hat die uns einfach in die Hand gedrückt. Die Karte is uns.«


»Genau«, sagte seine Partnerin: »Einfach gegeben hat der die uns. Wir kannten den Typ gar nicht.«


»Schmeißen Se die am Besten weg. Keine Ahnung, wo der Typ die hergehabt hat. Gibt nur Ärger mit sowas. Wir wollen keinen Ärger. Sie auch net. Heißt sonst noch, wir hätten’s geklaut. Oder Sie.«


Ich wollte die Karte gerade einstecken und die Sache mit dem Fundbüro erklären, als der Kerl auf mich zukam und mir die Ausweiskarte aus der Hand zog. Er ging damit zu dem kleinen, viereckigen Mülleimer neben dem Snackautomaten und pfefferte sie dort hinein. Die Frau und ich sahen im verwirrt dabei zu.


»So is besser. Kein Ärger. Sie kriegen keinen, wir ha’m keine, alles gut.« Er gesellte sich wieder zu seiner Partnerin, als die U-Bahn einfuhr und die einsteigenden Massen mich für einen Moment von der Karte ablenkten.

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