Endlich hatte sie eine Höhle gefunden, die sie vor dem herannahenden Unwetter schützen konnte. Der Eingang lag hoch über dem Boden, weit genug, um die Wogen des Hochwassers aufzuhalten. Hoch genug, um ihren Feinden den Weg zu versperren. Sie kletterte auf die seltsamen, glatten Steine im Inneren. Ein Bein nach dem anderen, rechts und links im Wechsel. Im hellen Tageslicht, das ihr durch die Öffnung folgte, erkannte sie den Abgrund und die Wand dahinter. Irgendwo dort würde sie sich einen Spalt suchen und das Wetter abwarten. Vielleicht dauerte es zwei, vielleicht auch vier Tage, dann konnte sie in die offene Welt zurück, sich einen Partner und ein Nest suchen.
Der
Abgrund war tiefer und die Strecke weiter, als sie vermutet hatte. Als
sie die Wand erreicht hatte, war die Sonne bereits verschwunden und nur
der Mond erleuchtete blass die glatten Steine im Inneren. Ab und an
zuckte ein Blitz am Himmel. Ein langer, andauernder Blitz. Nicht das
rasche Leuchten des Gewitters, das sie fürchtete. Ein tonloser Blitz,
mehr eine kleine Sonne, die nach kurzer Zeit erlischt.
Der
Aufstieg war beschwerlich. Immer wieder rutschte sie an den glatten
Steinen hinab. Glatte Steine, die seltsam rochen. Beinahe wie die Blumen
auf dem weiten Feld, aber doch anders. Süßlich und scharf zugleich. Ob
sich Insekten zu diesen Steinen verirrten, um sie auszulecken? Wenn ja,
hatte sie großes Glück. Diese seltsame Höhle war das Paradies. Schutz
vor Unwetter und Feinden, aber der falsche Geruch der Blüten lockte
Beute an.
Die
Dunkelheit umhüllte die Höhle nun vollständig. Sie tastete sich
vorwärts. Bein für Bein, rechts und links im Wechsel, bis sie eine
schmale Öffnung fand. Ein eigentümlich runder Spalt, kaum größer als ihr
Hinterleib. Ein perfektes Versteck vor dem Regen. Nichts würde sie hier
finden. Kein Vogel, nicht einmal eine andere Spinne. Und der Spalt
fühlte sich zudem weich an. Der Geruch war gewöhnungsbedürftig, sicher.
Die falschen Blumen mischten sich mit einem stumpfen Gestank, den sie
nicht zuordnen konnte. Aber daran störte sie sich nicht. Sie genoss die
Enge, Wärme und Sicherheit des Spalts an der Wand. Von hier aus konnte
sie sogar den Eingang sehen. Kein Feind würde ihr so zu nahe kommen
können. Von Sicherheit umwoben schlief sie ein.
Regen
prasselte auf die Steine um ihre Höhle. Laute, wilde Tropfen. Das
Unwetter weckte sie, trieb sie aus ihrem sicheren Spalt. Durch den
Eingang der Höhle fiel strahlender Sonnenschein. Der Geruch der falschen
Blumen erfüllte den Raum. Und immer wieder das Prasseln des Regens. Wie
kam das Wasser in die Höhle? War sie in Gefahr?
Erst
nervös, dann panisch zog sie sich aus dem Spalt hervor, suchte nach
Halt an den glatten, seltsamen Steinen, die nun glatt vor Nässe waren.
Ein riesiges Tier stand neben dem Spalt in der Höhle und starrte sie an.
Es war zu groß, als dass sie es gänzlich erfassen konnte, aber sie
spürte den Blick. Sie bewegte sich nicht. Sie konnte sich tot stellen,
ganz, wie es ihre Art war. Aber der Regen staute sich in der Höhle. Wenn
sie von der Wand fiel, würde sie auf das Wasser treffen und elendiglich
ertrinken. Sie musste weg. Raus aus dem Regen, weg von dem großen Tier.
Sie verstand nicht einmal, wie ein so großes Tier durch die kleine
Öffnung der Höhle gepasst hatte.
Der
Regen hörte auf. Das Tier wendete sich ab, griff nach einem riesigen
Stein am Boden. Der Geruch falscher Blumen betäubte für einen Moment
ihre Sinne. Sie durfte sich nicht aufhalten lassen. Sie musste fliehen.
Höher, weiter, an die Decke der Höhle. Der Aufstieg war anstrengend.
Ihre Beine mit den kleinen Klauen fanden kaum Halt. Die winzigen Poren
der Steine waren mit Wasser gefüllt, ließen sie immer wieder abrutschen.
Der Regen begann von Neuem.
Sie
blieb stehen, suchte einen besseren Aufstieg. Unter ihr glänzte ein
metallener Vorsprung, der sich allmählich mit heißer Feuchtigkeit
überzog. Die Luft verwandelte sich in Nebel, der in ihren Tracheen
kondensierte. Sie hielt inne. Vielleicht musste sie nicht weiter
fliehen. Das Tier interessierte sich nicht mehr für sie und der Regen
schien sie nicht zu erreichen.
Wieder
setzten die Tropfen aus. Das Tier trat an ihr vorbei, würdigte sie
keines Blickes. Es verschwand im Nebel, der die Höhle ausfüllte und
kehrte nicht mehr zurück. Sie wartete, bis die Nacht erneut hereinbrach.
Das Unwetter war vorbei, sie kehrte in die offene Freiheit zurück.
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