15 März 2016

Eine kleine Übung - Teil 2

Aloha

Im letzten Teil (hier) hatte ich euch bereits einen kleinen Vorgeschmack auf das gegeben, was euch hier erwartet. Ihr kennt die Szene jetzt im Entwurf und in der ersten überarbeiteten Fassung, jetzt kommt die eigentliche Übung.
Dieselbe Szene in drei unterschiedlichen Perspektiven und einmal in Futur II (vollendete Vergangenheit). Vor allem die eher ungewöhnliche Form der direkten Ansprache war lustig zu schreiben. Interessant finde ich auch, wie mir ganz andere Details auf- und eingefallen sind. Aber weg vom Blabla, hier ist die Szene.

Der Fuchs und die Leiche - Ich-Erzähler

Ich sah auf den Toten herab. Da war sie wieder, diese beängstigende Ruhe, wie die Stille vor einem schweren Sturm. Von den Geräuschen des Hafens nahm ich nichts mehr wahr, nicht die Matrosen, nicht die Möwen, nur meinen eigenen, regelmäßigen Herzschlag. Was war hier nur passiert? Was hatten meine Jungs angerichtet? Ich hatte es ihnen eingeschärft, nicht auffällig zu werden. Es war unsere Lebensgrundlage, dass man uns in Ruhe ließ und trotzdem hatten sie sich zu einem Mord hinreißen lassen. Ich hoffte so inständig, dass sich mich täuschte und keiner von meinen Leuten damit zu tun hatte, aber ich wusste, dass die Hoffnung trügerisch war. Ich konnte jetzt nur noch dafür sorgen, dass es bei diesem einen Vorfall blieb. Keiner meiner Leute würde einen Mord begehen, nicht mehr. Nicht, wenn ich mit ihnen fertig war.
Ich seufzte und wandte mich von der Leiche ab. Meine Arme und Beine fühlten sich hohl und leicht an, die die Glieder einer Puppe. Meine Füße schlurften fast von alleine auf den hellen Umschlagplatz zwischen den Schiffen. Wenn keine Morde geschahen, war der Hafen für die Polizei uninteressant. Wir hatten unsere Gesetze und wir sorgten dafür, dass man sie einhielt. Meist geschah das unauffällig oder so sehr im Einklang mit dem Gesetz, dass sich kein Außenstehender darum kümmern musste. Meistens, nicht immer. Hin und wieder gab es Ausreißer, die das wirre Geflecht aus zerbrechlichen Regeln nicht verstanden oder verstehen wollten. Docks war einer von ihnen. Er stand unter meiner Aufsicht, also musste ich dafür sorgen, dass er lernte, den Regeln zu folgen oder ihn dazu bringen, zu gehen. Allerdings wusste ich nicht, wo er sich im Moment aufhielt. Er hatte sich vor einiger Zeit offen von mir abgewandt und hielt sich seitdem versteckt. Gut genug versteckt, dass selbst der Fuchs ihn nicht aufspüren konnte.

Der Fuchs und die Leiche - Du-Form

Du standest vor dem Toten und sahst ausdruckslos auf ihn herunter. Was auch immer hier passiert war, musste aus dem Ruder gelaufen sein. Du wusstest, was ein Toter in deinem Revier für dich bedeutete. Jeder von euch wusste das. Ihr musstet euch friedlich verhalten, wenn ihr in Zeiten wie diesen nicht auffallen wolltet. Trotzdem hatte einer deiner Leute gegen die Regeln verstoßen und einen Mann getötet. Alles, was du noch tun konntest war, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Du musstest den Mörder ausfindig machen und bestrafen. Wenn es eine Leiche gab und keinen Mörder dazu, würde die Polizei den Hafen in Ruhe lassen und ihr alle konntet euren üblichen Werken nachgehen. Für den zweiten Toten würden sie sich nicht interessieren, es war ja nur ein Straßenjunge.
Du seufztest und gingst zurück auf den Handelsplatz am Hafen. Eine Zurechtweisung des Mörders war nötig, auch, damit die anderen in deiner Bande nicht vergaßen, wer das Sagen hat. Es waren deine Jungs, deine Bande und dein Revier, nicht das dieses Taugenichts Docks. Du warst dir sicher, dass Docks mit dem Mord zu tun hatte und du würdest ihn auch noch zur Rede stellen. Wenn du ihn finden würdest. Seit eurem Streit hatte er sich nicht mehr bei dir und deinen Getreuen blicken lassen, niemand kannte sein Versteck. Selbst für dich, Adam, den Fuchs, war es fast unmöglich, Docks zu finden, wenn er nicht gefunden werden wollte. Aber du hattest einen Plan.

Der Fuchs und die Leiche - Neutraler Erzähler

Adam Miller stand vor dem Toten und sah ihn an. Er wiegte den Kopf, beugte sich einige Male zu der Leiche und zuckte wieder zurück, ehe er sie berührte. Er seufzte, wandte sich ab und ging aus der Gasse. Er sah sich um. Im Hafen wimmelte es vor Matrosen aus aller Herren Ländern, ringsherum waren Waren in Kisten und Fässern aufgetürmt und Möwen jagten durch die Luft. Es war laut und roch nach stehendem Wasser, Schweiß und totem Fisch. Adam wandte sich ab und folgte einer Straße hinunter zu den Lagerhäusern am Wasser.

Der Fuchs und die Leiche - Futur II

Adam Miller wird vor dem Toten gestanden und ihn ausdruckslos angestarrt haben. Er wird darüber nachgedacht haben, dass seine Jungs, die Mitglieder seiner Bande, einen gefährlichen Fehler begangen haben werden. Er wird beschlossen haben, die Verantwortlichen zu bestrafen. Er wird geseufzt und daran gedacht haben, wie er am besten vorgehen wird. Er wird Angst gehabt haben, dass die Polizei sich zu sehr für den Mord interessieren wird. Er wird überzeugt gewesen sein, dass Docks mit dem Mord zu tun haben wird. Er wird in den Hafen zurückgegangen sein und einen Plan gefasst haben, Docks zu finden.


Nur zur Information: Die Szene war ursprünglich in der Form eines personalen Erzählers und im Präteritum geschrieben. Die Zeit wurde nur in der letzten Variante verändert, die gleichzeitig im Stil eines allwissenden Erzählers geschrieben ist, da sich andere Stile tatsächlich nicht dafür anbieten.
Hier seid ihr gefragt: Welche Variante hat euch am Besten gefallen und warum?
Habt ihr auch schon mal ausprobiert, dieselbe Szene aus verschiedenen Erzählperspektiven zu schreiben? Hat es euch geholfen?

Ich freue mich auf eure Antworten und bis dann
Jo

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