Hallo meine lieben Mitgefangenen in der Welt der Buchstaben!
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Foto von Expect Best von Pexels |
Das ist mir letzte Nacht passiert.
Der Hintergrund:
Mein Januar-Projekt lief hervorragend. Ich habe die Entwürfe eins bis drei in neunundzwanzig Tagen geschrieben und einen guten Plan für Entwurf Nummer vier zurechtgelegt. Die hoffentlich letzte Plotversion. Alles lief so schnell und so ungewohnt glatt - vor allem verglichen mit dem ersten Teil (Die Kobra von Kalkutta), der etliche Jahre gebraucht hat.
Ich habe mich bewusst entschlossen, zwischen Version 3 und 4 eine Pause zu machen, um ein wenig Abstand zu gewinnen. In dieser Pause wollte ich an einem Projekt arbeiten, dass sich in Genre, Zielgruppe und Ton möglichst weit von Montgomerys Ermittlungen entfernt, weswegen meine Wahl auf meinen Harry-Potter-Klon gefallen ist. Ein Jugendbuch in einer Schule für magische Wesen, das die Themen Tod, Familie und Verantwortung behandelt. (Jetzt, wo ich das so aufschreibe, gibt es vielleicht doch eine Überschneidung, aber egal.)
Das Problem ist nur: Eigentlich ist die Planung noch nicht weit genug gewesen, die Charakterarbeit, um genau zu sein. Das hat sich zum einen daran gezeigt, dass ich am Anfang unsäglich langsam vorangekommen bin (ich hasse Anfänge), aber noch mehr daran, dass nach den ersten drei Szenen aus Jakob Debora geworden ist, weil mir auffiel, dass ein Mädchen der bessere Protagonist ist. Ich habe schon früher Protagonisten gewechselt, aber ich habe bisher noch nie einen neuen Protagonisten eingebaut und die alte Figur restlos rausgenommen.
Was hat das mit YouTube zu tun?
Zum Einschlafen habe ich mir ein Video von Sideways angeschaut, einem Kanal, der sich mit Musikanalyse beschäftigt (und leider seit Jahren brachliegt). In dem Video ging es speziell um den Goofy-Movie und moderne Musicals mit all ihren Song-Typen und wie Musicals Disney-Filme beeinflusst haben. Speziell die Analyse des I-Want-Songs und des Villain-Songs haben mich zum Nachdenken gebracht.
Dabei ist mir dann - um Mitternacht, im Bett - aufgefallen, das ich vielleicht die ganze Zeit den Want (das Ziel) meines Charakters und dadurch den Villain (Gegenspieler, Antagonist - im Gegensatz zu Feind, Rivale, Bösewicht) falsch verstanden habe. Mein Kopf hat all die Disney-Renaissance-Filme durchgespielt und versucht, die Lieder auf diese beiden Konzepte zu mappen. Eigentlich ganz einfach, würde man meinen?
König der Löwen zum Beispiel:
"Ich will jetzt gleich König sein" - I-Want-Song des Protagonisten
Was will Simba? Erwachsen werden.
"Seid bereit" - Villain-Song des Antagonisten
Was will Scar? Die Macht an sich reißen.
Die beiden Wünsche stehen in direktem Gegensatz, denn beide Figuren wollen - im Endeffekt - König werden. Und sind sehr deutlich darin.
Arielle:
"In deiner Welt" - I-Want-Song
Arielle will die Oberwelt kennenlernen.
"Arme Seelen in Not" - Villain-Song
Ursula will ... Moment. Dieser Song drückt kein Ziel des Antagonisten aus, sondern stellt den Charakter einer Figur vor. "Arme Seelen in Not" ist Selbstdarstellung, nicht Ziel. "Arme Seelen in Not" ist nicht der Villain-Song, sondern das, was John Kerrick als "I-Am-Song" bezeichnet.
Bedeutet das, dass nicht Ursula der Antagonist ist? Und wenn nicht sie, wer dann?
Okay, vielleicht nehmen wir ein anderes Beispiel. Arielle ist der erste Film, der nach diesem Muster geschrieben wurde. Vielleicht sind deswegen bestimmte Dinge noch nicht deutlich.
Die Schöne und das Biest:
"Belle" - I-Want-Song
Belle will aus dem kleinstädtischen Leben fliehen.
"Gaston" - Villain ...
Moment, nein. Auch "Gaston" ist nur die Vorstellung, nicht sein Ziel. Der tatsächliche Villain-Song ist der "Mob-Song", als Gaston das Dorf zum Angriff auf das Schloss zusammenruft. Hier wird sein Ziel erst klar - er will der Held des Dorfes sein und Belle (und alle anderen) mit Gewalt an sich binden.
Noch ein Beispiel, bevor ich zu meiner Erkenntnis komme:
Mulan:
"Reflection" - I-Want-Song
Mulan will zu sich selbst finden und sich nicht einer Rolle beugen, in der sie sich nicht wohl fühlt.
... ... ...
Die Hunnen haben kein Lied. Die Hunnen nicht, aber Shang.
"Sei ein Mann" - Villain-Song (!)
Shang will aus den sehr unterschiedlichen Burschen im Lager "echte Männer" machen.
Ja, das bedeutet, dass nicht die Hunnen die Antagonisten in Mulan sind, sondern Shang. Wenn man darüber nachdenkt, ergibt es Sinn. Shang verkörpert die rigide Gesellschaft, gegen die Mulan ankämpft (und einen alternativen Weg als Kind, das seine Eltern stolz machen will). Er ist die Gesellschaft, die Mulan am Ende ändert. Die Hunnen dagegen sind eine Naturgewalt, ein Hindernis, ein Mac-Guffin in gewisser Weise. Sie sind nötig, um die Geschichte ins Rollen zu bringen und dienen an wichtigen Stellen als Boost. Aber die Hunnen sind nicht Mulans Gegenspieler, zu keinem Zeitpunkt.
Die Erkenntnis:
Diese viel zu lange Überlegung zu Song-Typen in Disney-Filmen hat mich dazu gebracht, noch einmal über die Wants und Gegenspieler meiner aktuellen Geschichte nachzudenken. Dabei ist mir aufgefallen, wie sehr meine Hauptfigur eigentlich ihr eigener Antagonist ist. Sicher habe ich auch einen Bösewicht, aber er ist mehr wie die Hunnen in Mulan - ein Katalysator, nicht das eigentliche Problem.
Aus dieser Überlegung heraus habe ich jetzt in meinen Charakterbögen den recht abstrakten Punkt "Want" geändert zu:
[Protagonist] will [Ziel], aber [etwas steht dem im Weg].
Die Änderung ist klein, aber mir hilft sie, von dem Bösewicht des Plots zum eigentlichen Antagonisten der Figur zu kommen. Montgomery wird das als klassischen Krimi-Ermittler eher weniger berühren, aber für die Fantasy-Ideen ist es Gold wert. Es hat mir gestern Nacht einen neuen Blick auf den alten Feig ermöglicht, was seiner Geschichte auch nur zu Gute kommen kann.
Ich werde Musical-Struktur ab jetzt fest in meine Planung mit einbauen. Mir hilft es, in Musik zu denken und tatsächlich sind Lieder ja auch nichts anderes als Gedichte und Gedichte sind nichts anderes als eine Szene oder Sequenz in Versmaß. Ich werde ab jetzt einen "I-Want" und einen "Villain" "Song" einbauen. Als eine Szene für mehr Klarheit - für mich und die Leser.
Wenn es später zu deutlich ist, kann man es ja in einer Überarbeitung immernoch wieder rausnehmen.
In diesem Sinne frohes Schreiben!
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