08 September 2022

Die Arbeit nach dem Schreiben, über die niemand redet

 Hallo an alle Schreiberlinge da draußen!

Heute will ich über ein Thema reden, das viel zu selten besprochen wird: das Überarbeiten. Ich hoffe doch, dass die meisten von euch wissen, dass es mit dem Niederschreiben einer Idee nicht getan ist. Die allermeisten Leute wissen, dass man zumindest noch ein letztes Mal Grammatik, Zeichensetzung und Rechtschreibung überprüfen sollte. Aber das allein ist eigentlich erst der allerletzte Schritt.

Ich möchte euch anhand einer alten Geschichte, die ich zufällig zwischen meinen Projekten gefunden habe, mit auf die Reise nehmen. Lasst uns zusammen überarbeiten, aber seid gewarnt: Es ist ein langer Weg.

Zu Anfang: Struktur

Szenenübersicht für "Flucht aus dem Schloss"
Damit meine will ich nicht wieder in das andere Thema von letzter Woche zurück. Aber wenn ihr kein Planungsgenie seid, wird der allererste Schritt immer der sein, der neuen Geschichte eine Form zu geben. Seht euren ersten Entwurf als einen Teig an. Ihr habt ihn aus den Ideen zusammengeknetet, eine Weile ruhen lassen und euch dann nocheinmal in Gänze angeschaut. Als nächstes müsst ihr euch für eine Form entscheiden. Das bedeutet im Klartext, dass ihr beim ersten Lesen des fertigen Textes darauf achten solltet, ob auch alle Ereignisse in einer sinnvollen Abfolge passieren, ob wichtige Ereignisse und Inforamtionen fehlen (Plotholes) oder ob an anderer Stelle zu viel Information gegeben wird (Infodump).

Mein persönliches Problem im ersten Entwurf ist dabei, dass der Protagonist die meiste Zeit über passiv ist und sich wie ein weinerlicher Teenager in irgendeiner Ecke verstecket und mit sich und der Welt hadert. Gleichzeitig neige ich dazu, die ersten Konflikte viel zu schnell zu lösen, wodurch ganze Handlungsstränge verloren gehen - und eine Menge Spaß für mich und potentielle Leser.

Daher hilft es ganz am Anfang, sich eine Übersicht der Szenen und Ereignisse zu schaffen und diese so lange zu sortieren, bis sie einem logisch erscheinen. Virtuelle oder klassische Karteikarten sind dabei eine große Hilfe, da sie besonders flexibel sind. Anschließend kann man mögliche Lücken in der Geschichte mit weiteren Karteikarten und Szenenideen auffüllen und an den nächsten Schritt gehen. Ich persönlich nutze dafür trello.com, aber verschiedene Programme bieten ebenfalls die Möglichkeit, virtuelle Karteikarten zu nutzen. Und natürlich funktioniert die Methode auch wunderbar mit echten Karten und einer Pinwand. Mir fehlt dafür nur im Moment der Platz.

An dieser Stelle hilft es mir übrigens sehr, wenn ich ein einfaches strukturelles Konzept zu Grunde lege, sofern die Geschichte dies erlaubt. Eine einfache Abfolge von Alltag, Auslöser, Übertreten der Schwelle, Mittelpunkt, Tiefpunkt, Rückkehhr über die Schwelle, Finale und Auflösung reicht dabei schon aus. Ich suche zuerst die Szenen aus, die den jeweiligen Punkten entsprechen und stricke den Rest erneut darum herum.

Schritt Zwei: Puzzleteile ausschütten

Wo der erste Schritt einen Vergleich mit Backen zulässt, mag ich das Bild eines großen Puzzles für den zweiten. Ich öffne dafür ein neues Dokument mit einer neuen Versionsnummer (und gegebenenfalls einem neuen Arbeitstitel).

In dieses Dokument kopiere ich die bestehenden Szenen aus meinem ersten Entwurf, ohne sie schon zu verändern. Im Fall von "Flucht aus dem Schloss" habe ich auch die Szenentitel eingefügt, da diese im Originaldokument noch nicht vorhanden waren und alles in einer neuen Titelstruktur eingeordnet. Leerstellen, bei denen ich bereits weiß, dass sie eine Szene erfordern, haben einen Platzhalter bekommen.

Der Schritt erinnert mich immer daran, wenn ich als Kind mit einem neuen Puzzle begonnen habe. Zuerst schütte ich alle Teile aus, sortiere sie nach Rand- und Innenteil und den Innenteil noch einmal nach Farbe. Erst dann fange ich an, das Bild zusammenzusetzen, und zwar, indem ich zuerst den Rand schließe und mich dann um den Innenteil kümmere.

Ähnlich ist es auch hier. Ich nutze die vorhandenen Szenen, um daran die neuen anzuschließen. 

Und zuletzt: Lospuzzeln!

Nach dem etwas drögen Aufräumen kommt dann der kreative Teil. Die Lücken in der neuen Version müssen geschlossen werden. Das bedeutet, neue Szenen müssen entstehen, vielleicht müssen Figuren und Orte angepasst werden (für mich findet in dieser Phase viel Weltenbau statt), sicherlich müssen die vorhandenen Szenen etwas abgeschliffen und neu lackiert werden.

Im Fall von "Flucht aus dem Schloss" sind von den ursprünglich etwa 50000 Wörtern (ich frage mich, ob es ein NaNo-Projekt war?) noch etwa 27000, also etwas mehr als die Hälfte übriggeblieben, Während des Lesens und dann noch einmal beim Sortieren sind mir neue Ideen für die ursprünglich sehr geradlinige Handlung und die farb- und namenlose Welt gekommen. Dies hat auch dazu geführt, dass ich kurzerhand alle Figuren neu benannt habe. Gavin und Parson und John und Charly wollten nicht mehr so recht in das Konzept passen.

Das Wichtigste: Nicht entmutigen lassen!

Dieser Schritt, das inhaltliche und strukturelle Überarbeiten, kann sich sehr lange hinziehen und jeder Entwurf sollte anschließend wieder ruhen und gegengelesen werden. "Flucht aus dem Schloss" wird mich allein auf dieser Stufe vermutlich mehrere Monate beschäftigen können, zumal ich parallel in den Vorbereitungen für mein NaNo-Projekt stecke. Aber es lohnt sich, sehr viel Arbeit in diese Phase zu investieren.

Neshka hat drei verschiedene Versionen durchlaufen, bevor ich mit dem überarbeiten der einzelnen Szenen angefangen habe. Das fertige Buch hat nur noch sehr wenig mit der ersten Fassung zu tun, abgesehen von einigen groben Ideen und Bells Verzweiflung beim Kauf einer neuen Büropflanze.

Übrigens ein Wort dazu: Wenn euch beim Überarbeiten eine Szene auffällt, die ihr wirklich liebt, die aber nicht mehr in das neue Konzept passt, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ihr kopiert sie in ein "Lager"-Dokument für eine andere Geschichte oder ihr schaut, ob ihr der Szene einen Sinn innerhalb der eigentlichen Geschichte geben könnt.

Der Kauf von Bells neuer Pflanze in Neshka war mir so wichtig, dass ich sehr viel Zeit damit verbracht habe, mir zu überlegen, wie die Szene in der Geschichte bleiben kann. Letzten Endes habe ich eine Lösung gefunden, die mir gleichzeitig bei einem anderen Problem in der Handlung geholfen hat. Welche kann ich an dieser Stelle nicht verraten, nur so viel: Der Gummibaum hilft Bell dabei, den Kriminellen zu entlarven.

In diesem Sinne, frohes Schreiben (oder Überarbeiten?) und wir sehen uns mit dem nächsten Schritt!

01 September 2022

Das Für und Wider von "Beat Sheets"

 Hallo an die schreibenden Menschen da draußen!

Es ist der erste September, nur noch acht Wochen bis zum Beginn des diesjährigen NaNoWriMo und ich verzweifele an meiner eigenen Ideensammlung. Nicht, weil ich keine hätte. Nicht, weil ich zu viele hätte. Nein, schlicht, weil eine Idee dabei ist, die sich auch für das Plotten nicht in Form pressen lassen will.

Über mich - das Spektrum

Foto von: Nick Morrison

Zuerst, bevor ich mich richtig beschweren kann, ein paar Worte zu mir und meinem kreativen Prozess. Ich glaube daran, dass mir eine gewisse Grundstruktur hilft, eine Idee zu Ende zu bringen und insbesondere, sie danach auch überarbeiten zu können. Ich habe Bücher drauf los geschrieben und zu Ende gebracht, mehrmals, darunter einige erste Entwürfe mit - für mich - ansehnlichen Wortzahlen. Aber mit Ausnahme meiner ganz frühen Ideen habe ich eigentlich nie ohne wenigstens einige grobe Notizen geschrieben. Vor zwei Jahren bin ich sogar so experimentell geworden, dass ich mir eine Struktur genommen und ihr ohne klare Idee gefolgt bin - selbst das hat es zu einem 50.000-Worte-Draft geschafft.

Ich sitze also irgendwo in der Mitte zwischen Drauflosschreiber und hartgesottenem Plotter und finde das gut so. Jedes Projekt, jede Idee und jede Phase meines Prozesses braucht seine eigene Herangehensweise. Trotzdem - oder vielleicht auch gerade deswegen - bevorzuge ich es, meine Notizen und Ideen in eine Struktur zu stecken. Eine Art Rückgrat, von der aus die Geschichte Form annehmen kann, wenn man so will. Wie kleinschrittig das System ist, ist von meiner Laune und der Idee selbst abhängig.

Ich suche immer noch die perfekte Vorlage für mich, habe aber aus einigen Systemen


etwas zusammengebastelt, das für mich grundlegend funktioniert. Ein flexibles System, das mir die Szenen ausgibt, die ich auch benötige, damit Leser der Geschichte folgen können. Ich bin nämlich sehr faul und neige dazu, zu glauben, andere wüssten schon, was in meinem Kopf vorgeht. Das heißt übrigens nicht, dass ich nicht nutzlose Informationen an der falschen Stelle ausschütten kann. Um das zu managen, hilft mir Struktur.

Drei Probleme ohne Lösung

Aber genug über mich. Die meisten Strukturmodelle über das Schreiben haben drei große Nachteile. Zum einen sind sie für Drehbücher optimiert. Für Filmdrehbücher von einer Länge von 90 bis 120 Minuten, um genau zu sein. Dadurch gehen Nebenhandlungen leicht unter oder man glaubt, sie ganz herausnehmen zu müssen. Systeme wie Blake Snyders "Save the Cat!" auf Bücher anzuwenden, erfordert also etwas Erfahrung und Flexibilität. Das gilt im Übrigen für alle auf "Beats" basierenden Schreibtipps.

Das zweite große Problem ist eng damit verwandt: die Drei-Akte-Struktur. Und dabei ist es gleichgültig, ob sie drei, vier, fünf oder sieben Akte enthält. Diese Struktur geht auf das Theater zurück, den Vorläufer des Films. Auch hier ist die Handlung realtiv geradlinig, der Zuschauer kann nicht mal eben zurückblättern und etwas nachlesen. Film, Theater, Lied und selbst Videospiele sind quasi moderne orale Erzählformen, die den Zuschauer/ Zuhörer/ Spieler vom Vortragenden abhängig machen. Bücher bieten dagegen etwas mehr Freiheit für das eigene Tempo. Das ist gut, macht Strukturen von anderen Medien aber nur bedingt anwendbar.

Das dritte große Problem liegt in einer gewissen Ringförmigkeit, die den meisten Strukturen zueigen ist, vermutlich weil sie sich auf Campbells Monomythos (die "Heldenreise") beziehen, die ihren Ursprung widerrum in (vornehmlich klassisch-westlichen und vorderasiatischen), oral tradierten Mythen hat. Die Sturktur ist so unspezifisch, dass sie eigentlich keine Hilfe darstellt und gleichzeitig so spezifisch, dass selbst Grimms Märchen nicht ohne weiteres mit ihr vereinbar sind. Kernpunkt ist hierbei aber die Rückkehr des veränderten (!) Helden in die unveränderte (!) Herkunftswelt, was sich bei Snyder z.B. in der Spiegelung von Opening und Final Image wiederfindet.

Und was genau ist das Problem?

Grundsätzlich komme ich mit den Strukturen bzw. meinem eigenen Frankenstein-Monster sehr gut zurecht. Jede Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, nicht wahr? Meistens kehrt der Held in irgendeiner Form am Ende nach Hause zurück oder versagt auf dem Weg dorthin, nicht wahr?

Hier kommt Maranaga ins Spiel, dessen Überarbeitung eigentlich ganz oben auf meiner Liste steht. Maranaga passt nicht in die Strukturen. Maranaga funktioniert in sich selbst, aber die Handlung ist zu komplex, als dass ich in der Lage wäre, die "Beats" ausfindig zu machen, sie in klare Akte zu stecken und dabei eine konsistent steigende Handlung zu spinnen. Die Natur der Geschichte würde ein Aufbrechen in drei Teile erlauben, die aber ungleich groß wären und jeder einzelne Teil würde - sehr grob - seinen eigenen drei Akten folgen. Die Teile sind aber gleichzeitig nicht voneinander trennbar, dazu kommt eine recht episodische Mitte und ein eher unklares Thema. Nicht, dass ein einzelnes klares Thema für eine Fantasy-Abenteuergeschichte zwingend der Kernpunkt ist - aber für die meisten Strukturen ist es wichtig. Außerdem - SPOILERWARNUNG! - kehren am Ende der Geschichte keine veränderten Helden in eine unverändete Heimat zurück. Das ist nicht der passende, sinnvolle Ausgang der Geschichte.

Dr. Who trifft Stein's Gate trifft Herr der Ringe funktioniert nicht mit einem Beat Sheet. Jedenfalls nicht, ohne mich dabei völlig wahnsinnig zu machen.

Und die Lösung?

Ich wünschte, die hätte ich. Im Moment tendiere ich dazu, alle Struktur zu ignorieren. Solange ich die größeren Löcher in der Geschichte irgendwann gestopft bekomme, sollte das wohl kein Problem sein.

Heißt das, ich werde mich generell von Struktur abwenden?

Nein. Aber ich muss bei sehr komplexen Geschichten zunehmend vorsichtiger werden, was mir warum wann helfen kann und was nicht. Flexibilität in der Herangehensweise erscheint mir wichtiger zu sein, als der verbreitete Glaube, ein Autor wäre Plotter oder Pantser. Maranaga soll zeigen, wie sehr der Prozess auch von der Idee abhängt, mit der man gerade arbeitet.

In diesem Sinne, auf frohes Schreiben!