22 September 2020

Der große Planungswahnsinn

 Aloha!

Aufgrund der Tatsache, dass mich dieses Jahr zu sehr vielen Zwangspausen gezwungen hat (Theaterproben sind abgesagt, das Museum war zu, der Master-Studiengang ohnehin eine einzige technische Katastrophe), habe ich mich entschieden, mit Hilfe von John Trubys "The Anatomy of Story" mal meinen ganzen Haufen alter und neuer Ideen auf Vordermann zu bringen. Quasi Großputz für den diesjährigen NaNo und hoffentlich ein Weg, endlich mal wieder etwas vernünftig zu Ende zu bringen.

 Tatsächlich hat mich diese Vorarbeit sieben der letzen neun Monate gekostet. Aber dafür habe ich jetzt auch einen Überblick über genug Story Ideen um bei einem Entwurf pro Monat zwei ganze Jahre mit Entwürfen zu verbringen. Schon ein wenig wahnsinnig, oder? Ich fürchte, die Zwangspause und der Japan-Urlaub davor haben mich auf ein kreatives Hoch befördert. Aber egal. Eigentlich wollte ich von einer Idee erzählen, die schon eine Weile zurückliegt, die auch schon ein NaNo-Projekt von mir war und die ich eigentlich Ende 2019 veröffentlichen wollte. Ich bin ganz froh, dass sich dafür kein Verlag gefunden hat und ich sehe jetzt endlich auch die großen Probleme.

Warum?

Weil ich die Struktur sehe. "Baroque", so mein Arbeitstitel, war eine einzige Katastrophe. Trotz der Tatsache, dass ich ein Grundgerüst hatte, wollte sich die Geschichte kaum schreiben lassen. Pierre hat während der Sache drei Mal den Charakter gewechselt, seinen Freund Eugene habe ich unetrwegs völlig verloren und Georg, der eigentlich der Antagonist sein sollte, wurde mehr und mehr zum Helden der Gescichte. Entsprechend waren die Überarbeitungen auch eine Katastrophe und ich fürchte, am Ende ist mir die ganze Sache um die Ohren geflogen. Ich als Lektor oder Verlag wollte jedenfalls auch nicht für das Chaos verantwortlich sein.

  1. Also war Baroque; als ein eigentlich fertiges Projekt und als die erste Idee nach alphabetischer Reihenfolge; mein erstes "Opfer" des Versuchs. Ich habe schön Kapitel für Kapitel mit Trubys Werk (das sich eigentlich an Drehbuchautoren wendet) meine Idee durchgearbeitet. Und große Erkenntnisse gewonnen.
  2. Pierre und Eugene konnten die Geschichte nicht tragen, weil Georg von Anfang an der Held war. Er hatte ein Motiv, ein Ziel und ein "seelische Narbe", die nicht heilen wollte. Er ist der einzige interessante Charakter in der Erstfassung gewesen, selbst für mich. Und meine Testleser kannten ihn nicht mal, weil viele von ihnen kaum bis zur zweiten Hälfte gekommen waren, wo er auftaucht *räusper*.
  3. Die Geschichte selbst kann in großen Teilen unverändert bleiben, aber die Rollen müssen entsprechend angepasst werden. Aus meinen alten Protagonisten werden jetzt die Antagonisten, was insbesondere Eugene zu Gute kommt. Der arme Kerl war nämlich ursprünglich völlig charakterlos.
  4. Das Tempo der Geschichte war völlig schief. Es gab keine Symmetrie zwischen den Teilen und erst recht kein Zusammenspiel. Die Geschichte hat immer noch einige Stellen, die zu langsam und zu ereignislos sind, aber zumindest der Anfang und das Ende passen jetzt besser zueinander.
  5. Das Ende. Ich mochte meine Idee, dass am Ende alle sterben und die Rebellion mit ihnen. Es war ein logisches Ende. Die Rebellen waren unvorbereitet, die Regierung dagegen wusste über jede Bewegung Bescheid. Aber es war unbefriedigend, denn Georgs Weltsicht war die modernere und damit die moralisch nachvollziehbare. Die Struktur hat mir persönlich dabei geholfen, einen Kompromiss zu finden, der das Ende weniger plump erscheinen lässt, ohne es unlogisch zu machen.
  6. Und als Essenz der beiden letzten Erkenntnisse: "Baroque" in der jetzigen Form ist langweilig und ein wenig ziellos. Georgs Geschichte allein kann das Thema nicht tragen. Georg allein kann die Geschichte nicht tragen. Ursprünglich wollte ich ihm Pierre an die Seite stellen, um genau das zu umgehen, aber Pierre ist eigentlich ständig bei ihm, er erzählt keine eigene Geschichte. Jetzt bekommt das ganze einen Sub-Plot, quasi einen zweiten Rebellen, der aber die ganze Idee einer Revolution anders angeht als Georg. Ich bin guter Dinge, dass eine zweite Geschichte in der ersten helfen wird.


Fazit dieses doch recht ausgiebigen Beitrags:

Als großer Plotter oder Planer und als realtiv analytisch denkender Mensch hat mir Trubys Ansatz von allen Plot-Methoden am besten geholfen. Nicht, weil er eine starre Methode vorstellt, in die ich meine Idee einpassen kann (oder muss), sondern weil er mich gezqungen hat, über die Idee nachzudenken. Und zwar im ganz Großen und im ganz Kleinen. Für die Neufassung einer alten, bereits ausgearbeiteten Idee war das auf jeden Fall sehr hilfreich. Ich bin gespannt, wie es sich mit den anderen Ideen verhält, die weniger weit gediehen sind/ waren. Ich will nicht versprechen, dass ich eine Idee öffentlich damit ausarbeiten werde, aber vielleicht wäre das ein schönes Projekt für den Dezember. Ich werde auf jeden Fall darüber nachdenken.

Bis dahin würde es mich interessieren, wie ihr, meine geschätzen Leser, bei der Planung und Überarbeitung vorgeht? Welche Modelle, Ideen und Erkenntisse haben euch bisher geholfen?